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Garten der Düfte für Demenzkranke und ihre Angehörigen

Ein Duft kann vieles: Er kann die Sinne betören, er kann Gefühle hervorrufen, er kann Erinnerungen wecken. Oder sie zumindest beleben. Bei Erna Grau, Ella Liebel oder Rudolf Bayer ruft der Duft einer Heckenrose oder von Pfefferminze nur die Ahnung einer Erinnerung hervor. Die Gerüche sind Teil ihrer Biografie, von der sie nicht mehr viel wissen. Und gleichzeitig sind sie Teil ihrer Therapie, die helfen soll, das Vergessen aufzuhalten.
Alle drei sind an Demenz erkrankt. Sie sind Gäste in der Tagespflege der Caritas im Nürnberger Norden. Zum Schutz ihrer Persönlichkeit haben wir ihre Namen geändert.
Hell und licht sind die Räume hier. Doch nicht nur im Gebäude sollen sich die Besucher wohl fühlen. Draußen können sie sich seit diesem Sommer in einem Sinnesgarten aufhalten. Dort, wo es bislang nur eine unwirtliche Umgebung aus Stein gab, gedeihen jetzt Duftquitte, Salbei, Dill, Basilikum und Petersilie, wachsen Bohnen, Zwergtomaten, Kohlrabi und Paprika. Das Grün hat die Atmosphäre in der Äußeren Bucher Straße völlig verändert. Für die Menschen zwischen 63 und 90 Jahren, die hier ihre Tage verbringen, bedeutet dies, auch draußen sitzen und dem Auge etwas bieten zu können.
Der kleine Garten kann aber viel mehr, weiß Barbara Klug, Leiterin der Caritas Sozialpflege. »Die Menschen, die bei uns sind, dürfen jede Pflanze anfassen und ihre Hände in die Erde graben. Das haptische Erlebnis ist auch sehr wichtig, schließlich stecken in den Fingern ja viele Sinne.« Damit auch die Rollstuhlfahrer unter den Demenzerkrankten an diesem Erlebnis teilhaben, wurde extra ein Hochbeet angelegt, an das sie ganz nah heranfahren können.
Alte Pflanzen bevorzugt
Erna Grau läuft zum Blumenbeet, zupft ein paar vertrocknete Blüten ab und geht wieder zurück. Ob ihr der Garten gefällt? »Wenn er schön saubergemacht ist«, sagt sie. Die wichtigste Pflanze für Ella Liebel ist die Pfefferminze. Schnell wird klar, warum: »Wir bauen viel Pfefferminze an – ein ganzes Feld voll. Es gibt ja viele Sorten. Ich glaube, über 150 verschiedene«, sagt sie und beschreibt ein Stück aus ihrer Vergangenheit, als wäre es die Gegenwart.
Im Garten ist ein kleiner Rundweg angelegt. Das ist wichtig für Menschen mit Demenz. So zieht Rudolf Bayer seine Runden um das Kräuterbeet in der Mitte. Er geht zum Gartenhäuschen, rüttelt an der Tür und setzt seinen Weg fort. »Früher war hier nur Zaun, da endete der Weg für Herrn Bayer regelmäßig«, berichtet Leiterin Klug. Auch das ist ein Symptom der Demenzerkrankung – dass viele Betroffene nur eine Richtung kennen und nicht einfach umkehren können.
In die Gartengestaltung floss alles mit ein, was man heute über die Krankheit weiß. Dazu arbeiteten Landschaftsarchitekt und Gerontotherapeutin Hand in Hand. »Wir haben unsere Gäste auch gefragt: Was wollt ihr haben?«, sagt Klug. »Kräuter sind für viele ganz wichtig.« Aber auch eine Stockrose, »die wohl früher in keinem Bauerngarten fehlte«, rankt sich hier empor. »Sie wurde von einigen erkannt, wie auch die Hortensie«, erzählt sie.
Der Wiedererkennungseffekt ist wichtig. Die Beschäftigung mit den Pflanzen kann eine Verbesserung der physischen und psychischen Verfassung von Demenzkranken bewirken – oder zumindest den fortschreitenden Abbau bremsen. Oft laufen die Tagesgäste ganz bewusst in den Garten, schauen sich die Pflanzen an, drehen ihre Runde und kehren zum großen Gemeinschaftstisch zurück. Hier üben die Betreuer mit ihnen Sprichwörter oder schneiden das Gemüse für das Mittagessen – auch wenn es etwas länger dauert und die Stücke nicht perfekt sind. »Viele der Patienten haben nicht mehr viel Interesse an den Dingen des Lebens, aber das Interesse fürs Gärtnern und fürs Essen ist ihnen geblieben«, weiß Klug. Und: »Es ist wichtig, den Menschen zu zeigen, dass sie noch etwas können.«
Die schöne neue Umgebung macht auch für die Betreuer die nicht immer einfache Arbeit etwas leichter und in jedem Fall angenehmer. Schon lange hatte die Geschäftsführerin die Idee, einen Garten anzulegen. Doch es fehlte an Geld. Die Tagessätze von 50 bis 74 Euro pro Patient – je nach Pflegestufe – decken nur das Nötigste ab: Fahrdienst, Verpflegung und natürlich die Personalkosten. Reserven für eine außergewöhnliche Anlage sind nicht vorhanden, und vielleicht wäre die Grünzone nie entstanden, wäre da nicht die Nürnberger Bürgerstiftung gewesen. Sie hat 30.000 Euro gegeben, nachdem Karin Eisgruber und Susanne Strattner von der Stiftung gemeinsam mit Caritas-Leiterin Klug das Konzept des Sinnesgartens entwickelt hatten. Die Stifterinnen haben die Projektleitung übernommen, ihr Kollege Helmut Hantke ist ebenfalls vor Ort. Sie gehören zu den bundesweit 17.000 Menschen, die sich regelmäßig mit Zeit, Geld oder Ideen in einer der rund 300 Bürgerstiftungen in Deutschland engagieren.
Unterstützt wird der Sinnesgarten aber auch von vier Schülern der Dr.-Theo-Schöller-Mittelschule. Regelmäßig schauten zwei Jungen und zwei Mädchen vorbei, halfen Bewohnern beim Anlegen der Beete. »Sie waren alle sehr nett und empathisch, hatten keinerlei Berührungsängste im Umgang mit den Kranken«, freut sich Barbara Klug. Und auch für die Baufirma, die den Garten in seinen Grundstrukturen schuf, findet sie nur lobende Worte. »Es war toll, dass sie sich so viel Zeit genommen haben, um unsere Gäste mit einzubinden. Das Projekt war und ist für uns in jeder Hinsicht sehr segensreich.«
Anja Kummerow
Foto: Michael Matejka

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