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Gedächtnistraining mit Fingerspitzengefühl

Dr. phil. Dipl.-Psych. Siegfried Lehrl (links) beim Vortrag mit Teilnehmern der Interessengruppe Gedächtnis im Dreicedernhaus in Erlangen. Foto: Mile Cindric
Dr. phil. Dipl.-Psych. Siegfried Lehrl (links) beim Vortrag mit Teilnehmern der Interessengruppe Gedächtnis im Dreicedernhaus in Erlangen. Foto: Mile Cindric
Manchmal gehe ich in die Küche, stehe da, drehe mich um und weiß nicht, was ich hier wollte«, sagt Maria B. Nachbarin Hildegard M. ergänzt: »Mir passiert es, dass ich bei Kälte ohne Handschuhe rausgehe und mich dann nicht mehr erinnern kann, wo ich sie hingelegt habe.« Solche Vergesslichkeiten sind alltäglich und nicht Besorgnis erregend. Noch nicht. Aber sie sind ein Zeichen dafür, dass das Gehirn zu wenig trainiert ist, so wie ein Körper erschlafft, wenn man ihn nicht mit Bewegung, mit Gymnastik oder Sport regelmäßig fordert.
Deshalb gehen Maria B. und Hildegard M. regelmäßig zu den Abenden der Interessengruppe Gedächtnis im Erlanger Informations- und Bildungszentrum Dreycedern. Sie wollen ihr Gehirn unter fachmännischer Anleitung fit halten. Viele ältere Menschen, das wissen die beiden aus eigener Erfahrung, haben Probleme mit dem Gedächtnis. Aber aus Scham oder einfach aus Angst, als Alzheimer-Patient abgestempelt zu werden, versuchen viele, die Schwäche zu vertuschen oder zu überspielen. Dabei kann Gedächtnis-Training, wenn es richtig gemacht wird, tatsächlich gegen Alters-Demenz helfen.
Ein bisschen von dieser Scheu steckt wohl auch in den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Erlanger Interessengruppe, obwohl sie bereits den ersten Schritt gemacht haben und etwas für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden tun. Deshalb haben wir wunschgemäß ihre Namen geändert.
Das Gehirn muss arbeiten
»Gehirnjogging« ist ein Begriff, der zwar beliebt ist, vor allem bei Autoren und Verlagen einschlägiger Ratgeber, den aber der Erlanger Diplom-Psychologe und Intelligenzforscher Dr. Siegfried Lehrl nicht so sehr schätzt. »Das klingt nach reinem Gedächtnistraining und hat wenig Nutzen.« Denn das Gehirn brauche, um leistungsfähig zu bleiben, viel mehr Herausforderungen als bloßes Auswendiglernen. Er spricht lieber von »mentalem Aktivierungstraining«. Genau das will er als Coach der kleinen Gruppe vermitteln.
Es sind überwiegend Frauen, die das abendliche Training absolvieren, die meisten Teilnehmer sind zwischen 60 und 80 Jahre alt – eine 82-Jährige war auch dabei – und sie kommen seit fünf Jahren aus dem weiten Umkreis, weil es Vergleichbares in der Region nur selten gibt.
Das Konzept hat sich bewährt: Es gibt keine Anwesenheitspflicht, und nie entsteht eine Situation ähnlich wie in der Schule, wo niemand abschreiben oder abschauen darf, wo Zensuren die »Guten« und die »Schlechten« trennen, wo es »Streber« und »Versager« gibt. Diplom-Psychologe Lehrl gibt zu, dass er als Schüler immer große Angst hatte, aufgerufen zu werden. Das will er nun vermeiden. Mit Erfolg: »Wir haben viel Spaß dabei, bei uns ist es manchmal sehr lustig«, sagt Maria B. und fügt hinzu: »Wir hoffen halt, dass es was hilft.« Das verbindet. Jeder Neuling, der zu den Abenden hinzustößt, ist herzlich willkommen und muss nicht befürchten, erst einmal danach befragt zu werden, wie es mit seiner Gehirn-Tätigkeit steht.
Noch bevor der Wissenschaftler ins Zimmer kommt, haben Teilnehmer die ersten Trainingseinheiten verteilt: Blätter mit dem berühmten »Teekesselchen«-Spiel, ein Kompass-Quiz, Texte, in denen bestimmte Wörter zu finden und zu unterstreichen sind, Wörter, in denen die Vokale ergänzt werden müssen, Anagramme, bei denen aus den Buchstaben eines Wort ein neues gebildet werden soll.
»Das ist wichtig«, betont Lehrl, »denn auch das Gehirn braucht erst einmal eine Aufwärmphase, um auf Touren zu kommen.« Aber dann geht es los. Der Trainer liest an diesem Abend zwölf Wörter vor, die mit »Wei-« anfangen, wie etwa Weimar, Weichsel, Wein und Weide. Dann beginnt er ein Gespräch über die Gedächtnisleistung, über die richtige Ernährung, um das Gehirn fit zu halten, und über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Und anschließend bittet er die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die zwölf Wörter in der richtigen Reihenfolge aufzusagen. Das geschieht gemeinsam, niemand wird blamiert, weil er die Reihenfolge durcheinander bringt oder sich überhaupt nur an zehn der zwölf Wörter erinnern kann. Dafür gibt es kollektives Lob, weil die meisten sich die Wörter-Reihe relativ gut gemerkt hatten.
Körper und Geist gehören zusammen
Dann folgen Übungen, in denen es darum geht, in einer erweiterten Form von »Das ist das Haus von Nikolaus« die Anzahl von Dreiecke zu finden oder einem selbst gemalten Geflecht von Quadraten und Rechtecken die Gesamtzahl der Vierecke. Dabei sei besonders wichtig, betont Lehrl, dass man das System dahinter erkennt. Vor allem: die Leistung des Gehirns ist größer, wenn eine Aufgabe mit körperlicher Bewegung verbunden ist. Also, wenn man Kästchen malt oder fehlende Vokale in eine Wörterliste ergänzt oder sich mit Anagrammen beschäftigt.
Kreuzworträtsel dagegen findet Lehrl, der Präsident der Gesellschaft für Gehirnforschung ist, nicht so geeignet, denn da könne man durch Routine und mit Hilfe von Nachschlagewerken die Lücken ohne große Gedächtnisleistung schnell füllen.
sechs+sechzig als Helfer
Lehrl hält – gehirntechnisch gesehen – auch nicht viel davon, im Fernsehen Biathlon-Wettbewerbe oder Fußballspiele anzuschauen: »Das ist zwar spannend, aber geistig nicht anregend.« Dagegen geht die Vorarbeit, die Teilnehmerinnen für das Aufwärmen vor der Sitzung leisten, in die richtige Richtung. Lehrl weiß auch noch andere, ganz einfache Hausaufgaben. Die Zeitung (oder auch das Magazin sechs+sechzig) kann dabei wichtiger Helfer sein: Man stelle die Seite auf den Kopf und lese Zeile für Zeile von oben; oder man streicht alle Wörter mit »s« an oder lässt sich Überschriften und ganze Sätze rückwärts vorlesen, um sie dann wieder in die richtige Reihenfolge zu bringen.
Solche Übungen sind wichtig. Denn schon nach zwei Tagen ohne Training beginne die Gehirnleistung zu sinken. Lehrl hat noch einen anderen Vergleich: Wenn ein Patient zwei Wochen ans Bett gefesselt ist, baut die Oberschenkel-Muskulatur messbar ab. 14 Tage ohne Gedächtnis-Training lasse auch die Gehirnleistung deutlich schrumpfen. Nur kann man das nicht objektiv messen. Aber subjektiv empfinden – und etwas dagegen tun.
Herbert Fuehr
Fotos: Mile Cindric
Chancen des -Gehirntrainings
Die Frage beschäftigt viele Menschen, vor allem, wenn sie in die Jahre kommen: Kann ich mit Gehirntraining Demenzerkrankungen vorbeugen, etwa dem gefürchteten Alzheimer? Der Erlanger Intelligenzforscher Dr. Siegfried Lehrl gibt eine eindeutige Antwort: Ja, wenn das Gehirn richtig trainiert wird, lasse sich das Demenz-Risiko eindeutig senken.
Der Diplom-Psychologe verweist auf eine Studie, bei der in sechs Arztpraxen in Franken Patienten mit Demenz-Verdacht drei Monate lang ein mentales Aktivierungstraining absolvierten, also ein wissenschaftlich fundiertes Programm, um das Gehirn fit zu machen und fit zu erhalten. Es habe sich gezeigt, dass bei diesen Patienten die typischen Demenz- Symptome verschwanden oder nicht manifest wurden, betont Lehrl.
Üblicherweise äußern sich demenzielle Erkrankungen zunächst mit Störungen des Kurzzeitgedächtnisses und der Merkfähigkeit. Im weiteren Verlauf verschwinden Inhalte des Langzeitgedächtnisses. Eine normale Lebensführung ist in fortgeschrittenem Stadium nicht mehr möglich, weil Betroffene zum Beispiel nicht mehr in der Lage sind, Alltagsaktivitäten zu bewältigen wie waschen, kochen, putzen oder sich ankleiden. Die Persönlichkeit verändert sich, Demente sind zunehmend auf Hilfe angewiesen. Doch die Patienten, die das Aktivierungstraining im Rahmen der fränkischen Studie absolviert hatten, konnten weiterhin ihr alltägliches Leben selbst meistern.
Der pathologische Prozess von Veränderungen des Gehirns gehe zwar weiter, betont Lehrl, doch er verlaufe im Hintergrund, beeinträchtige den Alltag also nicht. Erst sehr viel später als bei Betroffenen, die ihr Gehirn nicht aktivieren, würden die typischen Alzheimer-Symptome deutlich. Wenn überhaupt. Damit sinke auch die durch Demenz bedingte Sterblichkeit. »Diese Menschen sterben später an Herz-, Kreislauf- oder Krebserkrankungen, und sie haben bis dahin ein ganz normales Leben gelebt, keines, das durch Alzheimer eingeschränkt wurde«, betont Lehrl. Voraussetzung dafür sei aber, ständig im Gehirn-Training zu bleiben.
Der Erlanger Intelligenzforscher hat noch einen weiteren Beleg für den Nutzen seiner Methode: Er selbst ist an einer Studie beteiligt gewesen, die Ende Dezember in den USA veröffentlicht wurde. Demnach beschleunigt fachmännisch angewandtes Gehirn-Training sogar den Heilungsprozess nach Hüftoperationen.
Herbert Fuehr
Die Interessengruppe Gedächtnis trifft sich jeden zweiten Donnerstag im Monat (außer an Feiertagen) um 18 Uhr im Haus Dreycedern, Altstädter Kirchplatz 6, 90154 Erlangen. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, die Kursgebühr beträgt pro Person und Abend 1,50 Euro.

Eine Antwort

  1. Also ich bin noch sehr jung, und selbst mir passiert es selten das ich in einen Raum gehe und vergessen habe was ich eigentlich wollte.
    Aber ich denke das du recht hast, es ist gut sein kurzzeit- sowie sein langzeit-Gedächtnis zu trainieren.
    Das Problem ist eben das Menschen im Ruhestand oft einsam sind und oft nur in der stube hocken und sich mehr oder weniger langweilen.
    Dann verkümmert das Gehirn auch wesentlich schneller.

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