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In Arabien – und im Alter liebt man die Nähe

vignette2012 Hello all, wie eng darf sich Ihnen, werte Leserinnen, eine Fremde im informellen Gespräch nähern? Wie nah, meine Herren, darf Ihnen im Pissoire der Nachbar kommen, ohne dass er Sie mächtig stört? Maximal auf 0,6 Meter darf sich ein Fremder nähern – in Nordeuropa, sagt die Proxemik *, die Wissenschaft zur Ermittlung der richtigen räumlichen Distanz. Alles unter 60cm Entfernung wird in unseren Breitengraden als Intimzone gefühlt, die nur den engsten Vertrauten vorbehalten ist. Unterschreiten andere unerlaubt diese Minimaldistanz, löst dies Adrenalinausschüttung und Herzfrequenzsteigerung aus. Immer unter Voraussetzung des freien Platzes, versteht sich.
Hierzu misst man relevante kulturelle Unterschiede: Im arabischen Raum stehen Personen des gleichen Geschlechts wesentlich enger beieinander, bis auf 30cm nah und berühren sich oft im Gespräch an Ärmel, Schulter oder Hand. Südeuropäer und Lateinamerikaner kommen sich ebenso räumlich näher als Nordamerikaner. Ostasiaten stehen im Gespräch, so es der Platz erlaubt, noch weiter auseinander.
Kompliziert wird’s im transkulturellen Umgang miteinander, z.B. wenn wir unsere asiatisch stämmigen Angehörigen, die seit Jahrzehnten in Mexico City leben, treffen: Verbeugen, Handschlag, Umarmen oder Busseln? Wie machen wir das mit deren Kindern und den Senioren richtig?
Apropos Senioren: Meine Überschrift mahnt zum Kernthema:
Weltweit erlauben – oder suchen – Kinder und Senioren wesentlich engere Distanzen zu den Gesprächspartnern, belegt die Proxemik mit interkulturellen Studien. Gut zu wissen: Wenn Kinder also von der Schmusedistanz abrücken, können wir das als Zeichen der Reife deuten. Auch umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wenn Senioren aktiv die von anderen Erwachsenen gefühlte Fluchtdistanz unterschreiten, mag dies ein deutliches Alterungssignal sein; nicht nur wegen Schwerhörigkeit oder Kurzsichtigkeit, sagen die Proxemiker.
Insofern tun sich Enkel auf dem Schoss der Grosseltern einen gegenseitigen Gefallen – beide Generationen genießen die Nähe. z.B. beim Vorlesen aus “Tausendundeine Nacht”, mit arabisch-indischen Wurzeln. Hat doch alles sein Gutes, nicht wahr?
Ihr Global Oldie
* Sehr zu empfehlen u.a.: „Beyond Culture“ 1976, von Edward T. Hall, der damit die Proxemik entwickelte.
Für Nordamerika und Nordeuropa hat die Proxemik folgende Distanzkreise im Sichtfeld ermittelt:
0,0 – 0,6 Meter: die Intimzone (s.o.)
0,6 – 1,5 Meter: die persönliche Zone
1,5 – 4 Meter : die soziale Zone
4 Meter und weiter: die öffentliche Zone
Heute gilt Proxemik als Unterkategorie der nonverbalen Kommunikation. Nonverbales soll immerhin, je nach Kontext, über 50% der Wirkung eines Gesprächs erzielen. Dazu vielleicht mal mehr an anderer Stelle, was das für den Dialog zwischen den Generationen bedeutet.

2 Antworten

  1. lieber global oldie, in unseren senioren-tanzkreisen wird umarmt zur begrüßung, wer nicht will, ist auch i.o
    ich glaube, kontakt ist eine temprament-sache. und ich falle direkt auf, weil ich schon immer auf menschen zugegangen bin. aber dies ist meine art und ich hatte damit noch keine probleme. lächle den menschen an, denn es kann sein, daß dieses lächeln das EINZIGE ist was er an diesem tag bekommt.

  2. Wirklich interessant. Es gibt aber auch innerhalb Europas deutliche Unterschiede. Ich denke an die Franzosen, die sich immer mit einem Küsschen begrüßen. Auch Menschen, die gesellchaftlich auf der Höhe der Zeit sind, bevorzugen das angedeutete Küsschen rechts und links von der Wange.
    Ich meine, es spielt zudem eine Rolle, ob man sich sympathisch ist oder nicht. Unsympathische Menschen hält man gerne auf Distanz.

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