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Frauenhäuser sind nicht nur für Junge da

»Es ist nie zu spät, etwas zu ändern« steht auf einem Plakat in deutlichen Druckbuchstaben geschrieben und gleich daneben: »Es gibt Hilfe«, – so dass man den Satz leicht lesen kann. Auch dann, wenn die Augen nicht mehr die besten sind, weil man schon über 70 Jahre alt ist. Mit ihrer Informationskampagne will die Europäische Union (EU) jene erreichen, die allein schon als Folge der demografischen Entwicklung zunehmend zu Opfern von häuslicher Gewalt werden: ältere, zum Teil pflegebedürftige Frauen.

»Es ist nie zu spät«: Plakat im Flur des Seniorenamts Erlangen. Foto: Mile Cindric
»Es ist nie zu spät«: Plakat im Flur des Seniorenamts Erlangen. Foto: Mile Cindric
»Es ist nie zu spät, etwas zu ändern« steht auf einem Plakat in deutlichen Druckbuchstaben geschrieben und gleich daneben: »Es gibt Hilfe«, – so dass man den Satz leicht lesen kann. Auch dann, wenn die Augen nicht mehr die besten sind, weil man schon über 70 Jahre alt ist. Mit ihrer Informationskampagne will die Europäische Union (EU) jene erreichen, die allein schon als Folge der demografischen Entwicklung zunehmend zu Opfern von häuslicher Gewalt werden: ältere, zum Teil pflegebedürftige Frauen.
Auch im Erlanger Seniorenbüro und den Stadtteilläden hängt das farbige Poster. Schließlich will sich die Hugenottenstadt verstärkt um ältere Frauen in Gewaltbeziehungen kümmern und hat daher in Kooperation mit dem Frauenhaus die Aufklärung forciert. Mit Flyern und Broschüren sollen darüber hinaus Mediziner und Pflegeeinrichtungen Gewalt bei Seniorinnen schneller erkennen – und die Betroffenen auf Wege aufmerksam machen, wie sie dem Martyrium entkommen können.
Zum Beispiel durch eine Flucht ins örtliche Frauenhaus. Die Zahl älterer Klientinnen nimmt auch dort deutlich zu, beobachtet Mitarbeiterin Ursula Langer. Die Entwicklung sei im Jahr 2012 besonders auffällig gewesen. Knapp zehn Prozent der 64 Schutzsuchenden waren über 60 Jahre alt, einige sogar über 70. Im zu Ende gehenden Jahr suchten ebenfalls immer wieder ältere Frauen Schutz und Beratung: »Die Älteste«, sagt Langer, »war 86 Jahre alt.«
Natürlich falle Älteren der Umzug ins Frauenhaus oft noch schwerer als Jüngeren, sagt sie. »Für viele ist es ein Tabu, über das Problem zu reden. Sie sind in der Überzeugung aufgewachsen, man müsse mit allem allein fertig werden.« Jetzt aber müssen sie offen bekennen, dass sie Hilfe brauchen. Zudem bedeutet der Auszug von eine gewaltige Veränderung, die Trennung vom Partner fällt schwer.
Das Frauenhaus muss aber auch auf die veränderten Bedürfnisse dieser Frauen reagieren: »Das Zimmer muss rollstuhl- und behindertengerecht sein«, berichtet Langer. Das Frauenhaus-Team bemühe sich, den Seniorinnen ein eigenes Zimmer mit Bad anzubieten. »Auch das«, sagt sie, »spielt für Ältere eine größere Rolle.«
Ob 60, 70 oder 86: Die körperlich und/oder seelisch misshandelten Frauen haben eines gemeinsam: Sie wollen die ihnen noch verbleibenden Jahre (endlich) ohne Gewalt verbringen. »Oft dauern Schläge und Schikanen schon seit Jahren an«, berichtet Expertin Langer, »und irgendwann sagen die Betroffenen dann: Nein, für meinen Lebensabend will ich das nicht mehr.« Die Hoffnung auf Besserung, die sie womöglich mit 40 noch gehegt hatten, sei aufgebraucht: »Sie wissen, der Mann wird sich nicht ändern, und zugleich können sie selbst nicht mehr länger warten. Erst dann wagen sie den Schritt zu gehen.« Ein schwacher Trost: Oft verlieren auch prügelnde Männer im Alter an Körperkraft, die Gewalt äußert sich dann häufig in psychischer Form. Die Liste der Demütigungen sei lang und reiche von Beleidigungen, über das Verbot, Kinder und Freude zu treffen, den versperrten Zugang zu Konten bis hin zum Eingesperrtsein in der eigenen Wohnung.
Manchmal würden die Männer erst im Alter gewalttätig, erzählt Langer, beispielsweise im Ruhestand, wenn das Ehepaar plötzlich den ganzen Tag miteinander verbringt. Oder der Partner etwa an Demenz erkrankt und deshalb aggressiv wird.
So individuell die (Gewalt-)Beziehungen auch sein mögen, die Gründe, anfangs zu bleiben und nach Jahren und Jahrzehnten doch noch zu gehen, ähneln sich. »Für jede Frau ist es tragisch, wenn ihr Lebensentwurf scheitert – egal in welchem Alter.« Viele bleiben, bis die Kinder groß sind. Wenn sie den Partner dann wirklich verlassen, fällt meist die Suche nach einer neuen Wohnung leichter. »Ältere Frauen ziehen dann mit ihren Kindern zusammen oder ins Betreute Wohnen oder ein Pflegeheim«, sagt Frauenhaus-Mitarbeiterin Langer.
Manche Frauen aber gehen nie. Da es für die Betroffenen nicht leicht ist, sich im Alter mit den Traumata ihrer Vergangenheit zu befassen, hat der Nürnberger Frauennotruf ein spezielles Seniorinnenprojekt eingerichtet. Ein Großteil der Frauen, die hier Unterstützung finden, habe Gewalt schon in der Kindheit und/oder späteren Beziehungen durchgemacht, berichtet Frauennotruf-Mitarbeiterin Hedwig Faußner. Frauen, die im Rollenverständnis der 1940-er oder 1950-er Jahre erzogen wurden, hätten körperliche und sexuelle Gewalt oft als gegeben hingenommen.
Weshalb 60- bis 80-Jährige schließlich doch in oft langen und schmerzlichen Einzeltherapien und Gesprächsrunden ihre schlimmen Erlebnisse aufarbeiten, hat vielschichtige Gründe: »Manchmal stirbt der Partner, und plötzlich atmen die Frauen auf – dieses Gefühl bringt sie dann zum Nachdenken.« Oft weisen auch Krankheiten auf seelische Wunden hin. Hinter Angstzuständen und Herzrasen etwa stünden häufig unverarbeitete Gewalterfahrungen. Noch zu selten werde diese Ursache in Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen erkannt. Um das zu ändern, bietet das Frauennotruf-Team Schulungen für Pflegekräfte und Mitarbeiter in der Seniorenarbeit an. Sie sollen Übergriffe in der Vergangenheit deuten können, zugleich aber ein Gespür für akute Misshandlungen bekommen, etwa durch Altenpfleger.
Auch im Hospiz, meint Psychologin Faußner, müsse man diese (Wissens-)Lücke schließen und mehr auf Gewalterfahrungen der Bewohner achten: »Schließlich will jeder Mensch am Lebensende Resümee ziehen und seine Biografie in Ordnung bringen.«
Sharon Chaffin

INFO
Die beiden Vereine freuen sich über jede Geldspende:
Frauenhaus Erlangen
Telefon: 091 31 / 25 872,
Spendenkonto: 19 00 33 80 bei der Stadtsparkasse Erlangen, BLZ: 76 35 00 00, Stichwort: »Erlanger Frauenhaus«
Frauennotruf Nürnberg
Telefon: 09 11 / 28 44 00
Spendenkonto: 11 03 865 bei der Stadtsparkasse Nürnberg, BLZ: 76 05 01 01, Stichwort: »Frauennotruf«
Außerdem zeigt der Landkreis Erlangen-Höchstadt zwischen 9. und 21. Mai 2014 die Wanderausstellung »Blick dahinter – Häusliche Gewalt gegen Frauen«; die Schau ist voraussichtlich in der Fortuna Kulturfabrik, Bahnhofstraße 9, in Höchstadt/Aisch zu sehen.

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