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Vom Wandel des Reisens im Alter

vignette2012 Hello All, „Wenn einer eine Reise tut, so kann er was verzählen…“ dichtete Matthias Claudius die ersten Zeilen in „Urians Reise um die Welt“. Jahrtausende lang hatte man sich den Stoff zu späteren Reiseerzählungen mühselig zu Fuß oder als eingestaubter Reiter, eingepfercht in rumpligen Kutschen oder auf schwankenden Booten und Schiffen mühselig erwerben müssen. Bis zur Verbreitung von Eisenbahnen und Dampfschiffen Mitte des 19. Jahrhunderts blieben Reisen strapaziös. Hinzu kamen Unwägbarkeiten und Gefahren, die jeden Aufbruch zu fernen Zielen zu einem Unterfangen mit ungewissem Ausgang machten. Wer sich in vorindustriellen Zeiten zu Zielen jenseits des eigenen Horizonts auf den Weg machte, tat dies nur mit mächtigem Antrieb: Flüchtlinge, Krieger, Missionare, Händler, Forscher, Hasardeure oder von unbändiger Neugierde Beseelte. Reisen war das Außergewöhnliche; nichts für die Mediokren, Schwachen und schon gar nicht für Alte, bis auf die Zähesten. Der Reisende hatte nicht nur was zu verzählen von der weiten Fremde. Er hatte Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit bewiesen. Ein Reisender stellte was dar, unterwegs und zurück Zuhause.
Dieser Nimbus der weltgewandten Robustheit adelte einst; heute nährt diese Idee die Reiseindustrie. Doch in den letzten 150 Jahren haben sich Reisen von riskanten bis entbehrungsreichen Erfahrungen zu aalglatten Dienstreisen und „den schönsten Wochen im Jahr“ gewandelt, radikal. Dank Telefon, Internet, Auslandsreiseversicherungen mit Rückholgarantie, Langstreckenflieger, Hochgeschwindigkeitszügen, klimatisierter Busse, Reiseleiter, Mietwagenstationen, weltweiten Hotel- und Fastfood –Ketten sind Reisen ein Kinderspiel – nein, alterskonforme Veranstaltungen geworden. Mit einer frischen Erbschaft auf dem Konto, wählen die mobilen Senioren ihre Ziele, je oller desto toller. Am Kap der Guten Hoffnung zwischen stinken Pinguinen, in Katmandu im Himalaya-Outfit, unterm Heißluftballon über Ankor Wat oder an den sturmzerzausten Klippen der Osterinseln trifft man inzwischen mehr Betagte als Junge. Auch wenn die Illusion des kontrollierten Abenteuers sorgsam genährt wird: Die Alten auf Reisen, vor allem bei den rundum betreuten Touren, leben unterwegs inzwischen vermutlich sicherer als auf den heimischen Straßen und Wohnungen. Nur dass sie dann weniger zu „verzählen“ haben.
Ihr Global Oldie

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