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Cartoon: Sebastian Haug

Seit unsere – zugegebenermaßen etwas kämpferisch veranlagte – Freundin Selma aus dem Urlaub zurück ist, hat sie ein neues Lieblingsthema: die Trivialisierung der Landschaft. Etwas ratlos schauen wir in die Runde: Weiß jemand, was gemeint ist? Selma klärt uns auf mit unüberhörbarem Ärger in der Stimme. »Ich habe doch kürzlich diese Busreise an die englische Südküste gemacht und mich schon richtig darauf gefreut: alte Kulturlandschaft, beeindruckende Steilküsten, Dartmoor, Städte wie das Seebad Brighton oder Salisbury mit seiner achthundert Jahre alten Kathedrale, das Künstlerstädtchen St. Ives, das malerische Bath, einfach alles so großartig!

Und dann faselt der Reiseleiter unentwegt vom ›Rosamunde-Pilcher-Land‹ und zieht alles ins Banale. Cornwall als Kitsch-Kulisse – das ist doch wohl das Letzte!« Dass sich aus ihrer Reisegesellschaft anscheinend niemand an dieser Bezeichnung störte, fuchst Selma ganz besonders. Und: »Im Internet kannst du ›Rosamunde-Pilcher-Reisen‹ googeln und sogar buchen. Sind die Engländer noch zu retten?« – »Das kannst du auch in der Ostschweiz haben«, gieße ich Öl ins Feuer. »Da darfst du dann im ›Heidiland‹ deine Ferien verbringen – das ist doch was!« Sozusagen auf Johanna Spyris Spuren, die ihr berühmtes Kinderbuch im Jahr 1880 verfasste und deren Nachkommen theoretisch immer noch ganz nett von den Tantiemen leben könnten. Für alle nostalgischen Romantiker(innen) werben Heidi, Klara und der Geißenpeter noch hundertfünfunddreißig Jahre später herzerweichend für die Region. Die Liste ließe sich beliebig erweitern. »Die Uckermark als Merkel-Land«, schlage ich vor, »das würde vielleicht den Tourismus in dieser Region ankurbeln.«

Remmidemmi im Speisesaal
Ehe wir weiter kreativ und boshaft neue Ideen entwickeln, mischt sich Annegret, die Friedfertige, in das Gespräch ein. »Ich hatte diesmal richtig Glück mit meinem Urlaubshotel auf Menorca. Schön gelegen, nahe an der Meerespromenade, gepflegt und ohne Remmidemmi. Und kinderfrei – nur buchbar für Personen ab 18 Jahren. Eine Wohltat!« Den letzten Satz hätte sie besser weggelassen, denn jetzt wird es erst richtig turbulent. »Das hätte ich niiiieee gedacht, dass du so kinderfeindlich bist«, giftet Ria, die gern mit Tochter, Schwiegersohn und diversen Enkeln All-Inclusive-Urlaub macht. »Es gibt doch nichts Schöneres als Kinderlachen! Und wenn die Kleinen mal so richtig herumtoben, da geht doch jedem normalen Menschen das Herz auf!«

»Mein Herz jedenfalls nicht!« Jetzt wird sogar Annegret energisch. »Ich will dir mal kurz erzählen, wie das im letzten Jahr in meinem ›familienfreundlichen‹ Hotel war: Mein Nachbartisch im Speisesaal war für eine Familie mit Baby und Kleinkind reserviert. Schon der Einzug ins Restaurant war bemerkenswert: Mama nahm Platz und packte aus: Lätzchen, Schnuller, Babyflasche, Saft, feuchte Tücher, trockene Tücher, falls das Baby mal spuckt, eine Spielzeugrassel und ein Stofftier. Für das größere Kind Malblock und Zeichenstifte sowie ein kleines ›Töff-Töff‹. Die Teller fanden kaum noch Platz auf dem Tisch. Die Kinder waren zwar brav, aber es herrschte ein dauerndes Hin und Her. So wie im ganzen Restaurant. Mir kam es vor, als wären die meisten »Kids« auf den Beinen statt auf ihren Stühlen. Draußen ging es genau so unruhig zu. Im Pool musste man ständig achtgeben, dass einem nicht so ein kleiner Tunichtgut auf den Kopf sprang. Dazu Animationsprogramm für Jung und Alt von elf Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags, unterlegt natürlich mit Musik aus den Lautsprechern. Abends Disco innen und außen. Für so was bin ich zu alt!«

Ria guckt beleidigt, unbehagliches Schweigen breitet sich aus in der sonst so harmonischen Damenrunde. Bis Erika das Wort ergreift: »Was müsst ihr auch alle durch die Welt gondeln. Ich bleibe zu Hause in meinem Garten, liege friedlich unterm Apfelbaum und höre dem Vogelgezwitscher zu. Da nervt mich höchstens mal ein Nachbar mit dem Rasenmäher, aber sonst ist alles perfekt.«

Das kriegen wir für dieses Mal offenbar nicht auf die Reihe. Vielleicht sollten wir das Thema Urlaub vorerst meiden, überlege ich und nehme mir vor, über meine eigenen Ferienpläne vorerst zu schweigen. Damit sie mir keiner madig macht.

Brigitte Lemberger

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