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Wie viel Technik verträgt die Pflege?

Im Alter sind die meisten Menschen auf fremde Hilfe angewiesen. Für viele Ältere ist der Kontakt zu einem Menschen, der ihnen bei der Verrichtung der täglichen Aufgaben hilft, der einzige soziale Kontakt im Lauf eines Tages. Und den soll in Zukunft eine Maschine übernehmen? »Pflegt uns bald der Roboter?
Das Robbenbaby auf dem Schoß ist ein Roboter. Gruselige Vorstellung?
Das Robbenbaby auf dem Schoß ist ein Roboter. Gruselige Vorstellung? Foto: epd

Das Unbehagen, das viele Menschen dabei haben, brachte dabei Manfred Lang, Sprecher des Arbeitskreises Pflege des Nürnberger Stadtseniorenrates, auf den Punkt: »Die Pflege und Betreuung der ambulant versorgten oder in Pflegeeinrichtungen lebenden Menschen ist meist zeitlich eng getaktet, obwohl Körpernähe, soziale Wärme und Hinwendung ein Grundbedürfnis jedes Menschen und insbesondere von einsamen Heimbewohnern sind.« Deshalb zweifelt er daran, dass vermehrter Technikeinsatz dazu geeignet ist, den Mangel an Zuwendung entgegenzuwirken.

Allerdings ist der demographische Wandel in vollem Gange; die Zahl der Älteren in der Gesellschaft wächst, und ihr Anteil nimmt zu. In der Pflege und anderen betreuenden Berufen herrscht seit Jahren ein Fachkräftemangel, und es ist nicht zu erkennen, dass dieser in absehbarer Zeit behoben wird. Zuwanderung allein kann das Problem vermutlich nicht lösen. Es liegt also nahe, auf die Technik zu setzen – und die meisten Diskutanten befürworteten auf dem Podium auch Roboter & Co.

Johann Schauer, Wohnberater von der KOWAB, steuerte zur Diskussion bei, dass moderne Technik in der Pflege nicht bedeuten müsse, dass Computertechnik zum Einsatz kommt – und auch nicht, dass es teuer wird. Welche Technik nützlich und wünschenswert ist, weil sie das Leben erleichtert, darüber ließ sich allerdings trefflich streiten. Überwiegen beispielsweise bei einer Inkontinenzmatte die Nachteile, weil aufgrund der Dauerüberwachung ein Stück Autonomie verloren geht? Oder bringt sie den Betroffenen eine Erleichterung, weil man nicht mehr den Pfleger persönlich auf sein Malheur hinweisen muss? Fast zu einem Symbol für Roboter in der Pflege ist ein japanisches Plüschtier mit künstlicher Intelligenz geworden: »Paro« sieht aus wie eine junge Sattelrobbe und ist ein 60 Zentimeter langer Roboter mit weißem Fell, der bei Demenzpatienten zu therapeutischen Zwecken eingesetzt wird – inzwischen auch in mehr als 40 Pflegeeinrichtungen in Deutschland.

Der Roboter reagiert auf Streicheln mit Kopf- und Schwanzwackeln. Patienten sollen durch »Paro« gesprächiger und gelöster werden, indem der Roboter bei ihnen Schlüsselreize auslöst. Das allerdings bringt mehrere Experten ins Grübeln: Bekommt eine Maschine hier nicht zu viel Einfluss auf einen Menschen zugesprochen?

Diese Grenze muss freilich nicht nur jeder für sich persönlich ziehen, sondern sie muss bereits bei den Anbietern mitgedacht werden. »Die Entwicklung und die Dienstleistungen im Zusammenhang mit technischen Assistenzsystemen sollten sich nicht so sehr am technisch Möglichen, sondern mehr an den Bedürfnissen älterer Erwachsener und ihrer Angehöriger orientieren«, sagt Bettina Willinger, Wissenschaftlerin am Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Nürnberg. Allerdings fehlen noch Erfahrungen mit den technischen Systemen. Viele Neuentwicklungen haben das Potenzial, die Selbstständigkeit und Lebensqualität zu verbessern. Risiken und Nebenwirkungen sind aber – anders als bei Medikamenten – bislang kaum erforscht.

Vielleicht hilft es sich klarzumachen, dass unsere Einstellung zur Technik tiefe kulturelle Wurzeln hat: »Ostasiatische Kulturen tun sich im Umgang mit technischen Neuerungen offensichtlich leichter als hiesige«, sagt sechs+sechzig-Blogger Matthias Fargel, der in seinem Berufsleben ein international tätiges Marktforschungsunternehmen geleitet hat und weit gereist ist. »In Asien fehlt die Vorstellung von einem Konflikt zwischen guter Natur als göttlicher Schöpfung und einer sündigen, damit schuldbefrachteten Schöpfung des Menschen, wozu auch Technik gehört.« Der Roboter steht dort nicht für kalte Rationalisierung, sondern für fürsorgliche Optimierung. Das macht ihn doch gleich viel sympathischer.

Georg Klietz

Foto: Fraunhofer IPA

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