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Lesetipps des Magazin sechs-und-sechzig

Das Magazin sechs-und-sechzig weiß, das die Leserinnen und Leser immer noch gern lesen. Deshalb wählt es aus dem großen Angebot empfehlenswerte Literatur, die man lesen sollte - nicht nur im Sommer

cover ironsideAlle Buchtipps wurden von unserer Autorin Brigitte Lemberger ausgewählt und besprochen:

Liebenswerte Lady

Marie Sharp, die liebenswürdige, manchmal leicht renitente Londoner Lady, hat wieder Tagebuch geschrieben. Ihrer vermutlich vorwiegend weiblichen Fangemeinde ist sie bereits bestens bekannt durch ihre »Nein, danke«-Bücher. Sie will weder Seniorenteller, Seniorentreff noch Kaffeefahrt und ist, gemäß neuesten Tagebucheintragungen, durchaus imstande, im Bus oder in der U-Bahn zu stehen. Mit ihrem jüngsten Buch »Danke, ich brauche keinen Sitzplatz« plaudert die erfolgsverwöhnte englische Autorin Virginia Ironside wieder einmal über den Alltag ihrer Lieblingsfigur, die sich nach wie vor eigenwillig und tapfer durch ihr Single-Dasein bewegt. Marie, inzwischen 67, hat ein gesundheitliches Problem, das sie keinesfalls ihrem Sohn anvertrauen will, damit sich dieser keine Sorgen macht. Nur ihr Ex-Mann ist eingeweiht, dem sie nach Jahren freundschaftlicher Trennung wieder näher kommt. Ihr netter Untermieter scheint auf den ersten Blick pflegeleicht zu sein, braucht aber schließlich ihre tatkräftige Hilfe bei seinem großen Familienkonflikt. Die neue Nachbarin ist eine verschrobene »Hexe«, der Nachbarhund muss gerettet werden und eine Biene – eine kleine, liebenswerte Szene – wird in die Freiheit entlassen. Mit Vergnügen folgt man Marie durch ihre Tage und Nächte und bemerkt, dass es egal ist, in welchem Land man alt wird. Die Gedanken, Sorgen und Freuden sind immer die gleichen. Eine beschwingte Lektüre, die man am besten zur »tea-time« genießt.

Virginia Ironside, »Danke, ich brauche keinen Sitzplatz«, Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2015, € 19,99, auch als Hörbuch erhältlich.

Sieben Tage Luxus-Liner

Schließlich tat es ihm doch leid: dass er weder Smoking noch Dinnerjacket eingepackt hatte. David Foster Wallace, amerikanischer Schriftsteller, im Auftrag eines Magazins als Journalist auf einer siebentägigen Luxuskreuzfahrt in der Karibik unterwegs, war der Meinung gewesen, dass formelle Kleidung bei tropischen Temperaturen völlig unangebracht sei. Falsch gedacht. Sein Erscheinen bei Tisch wurde von seinen festlich gekleideten Mitreisenden »mit eisigem Schweigen quittiert«. Was eigentlich ganz gut passte, denn der damals 33-jährige Wallace war auf diesem Schiff, das ihm »so sauber und weiß wie nach einer Kochwäsche« erschien, denkbar fehl am Platze, und wenig bereit, sich kritiklos der demonstrativen Eleganz und dem pausenlosen Wohlfühlprogramm zu überlassen. Mit Genauigkeit notiert, registriert und kommentiert er alles – die perfekt geschulte Besatzung, den makellosen Service, das gnadenlose Animationsangebot, die Passagiere und sein eigenes Dilemma als amerikanischer Tourist. »Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich« ist ein Essay über ein in sich geschlossenes kleines Universum, in dem die sagenhaften Werbeversprechen der Veranstalter in die Tat umgesetzt werden sollen und das im Gegenzug von seinen Bewohnern auf Zeit erwartet, dass sie sich unentwegt fabelhaft vergnügen – egal wie. Es ist der – manchmal durchaus komische – Bericht über einen Kurzurlaub auf einem Luxusliner, der seinen verwöhnten Gästen alles bietet, was sie für ihr Geld erwarten. An Bord der »Zenith«, jenem »schwimmenden Palast«, blickt Wallace auf die Schönheit der Karibik und die Absurdität einer solchen Reise. Wie auch immer: Das Buch ist, wie der Verlag ganz richtig beschreibt, »ein Muss für alle Kreuzfahrer … und erst recht ein Buch für alle, die das nie tun würden.«

David Foster Wallace, »Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich«, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015, € 7,99

Stoner« – ein stiller Held

Eine literarische Wiederentdeckung der ganz besonderen Art ist der 1965 zum ersten Mal erschienene Roman »Stoner« von John Williams, der damals keine besondere Beachtung fand. Knapp fünfzig Jahre später bekam das Buch seinen verdienten späten Ruhm und darf sich heute der großen amerikanischen Literatur zugehörig zählen. »Stoner« erzählt die Geschichte eines Mannes, der als Junge auf der Farm seiner Eltern in Missouri aufwächst, auf deren Wunsch ein Landwirtschaftscollege besucht und hier die Liebe seines Lebens entdeckt: die Literatur. Er sattelt um, studiert Literaturwissenschaften und wird Hochschulprofessor an der Universität, die ihn ausgebildet hat. Dort bleibt er bis zum Ende seiner Laufbahn. Er heiratet Edith, ein Mädchen aus den Südstaaten, »mit zartem Talent für die vornehmeren Künste und keinerlei Kenntnis von den Zwängen des alltäglichen Lebens«. Die Ehe misslingt, eine Tochter wird geboren, von Stoner sehr geliebt, doch auch sie entgleitet ihm im Verlauf der Jahre, wie sich überhaupt fast alles im Leben Stoners unglücklich entwickelt, ohne dass er sich widersetzt. Im ruhigen Strom dieses großen Romans wird »nur« von diesem einzelnen Menschen berichtet, der an den großen Geschehnissen der Welt – zwei Kriege, die Zeit der Depression in Amerika – zwar Anteil nimmt, aber nur mittelbar betroffen ist. So unspektakulär dieser Lebenslauf, so nüchtern darüber berichtet wird, ist William Stoner dennoch ein Mann, dessen Schicksal den Leser bewegt. Ein melancholisches Buch über das Leben.

John Williams, »Stoner«, Neuauflage: dtv Verlagsgesellschaft, München, 2013, Gebunden € 19,90, dtv Taschenbuch, € 9,90, auch als Hörbuch erhältlich.

Promi-Wirtin erzählt

Ihre Fleischküchle sind legendär. Jetzt verrät Promi-Wirtin Kathrin Rauber vom traditionellen Gasthaus »Baumwolle« in der Nürnberger Altstadt nicht nur das Rezept, sondern erzählt sogar ihre Lebensgeschichte. »Das Leben der Wirtin Jungfrau Kathrin« heißt das mehr als 400 Seiten umfassende Buch, in dem die gebürtige Fürtherin preisgibt, was sie zu dem machte, was sie heute ist: eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die sich alles selbst mit Fleiß und Ausdauer erarbeitete. Frei von der Leber weg berichtet sie von persönlichen Ereignissen in der Familie und Begegnungen mit Geschäftspartnern, Gästen, Freunden und Bekannten. Zahlreiche Fotos aus der privaten Schatulle ergänzen den Text sowie, immer wieder eingestreut, Sprichwörter und Lebensweisheiten. Mit dem Anhang »Rezepte aus meiner Küche« beschenkt Kathrin Rauber, die inzwischen Kathrin Hofer heißt, schließlich ihre Leser, unter denen sich fraglos viele Stammgäste befinden.

Kathrin Rauber, »Das Leben der Wirtin Jungfrau Kathrin«, Verlag Ph.C.W. Schmidt, Neustadt an der Aisch, 2015, € 24,80

Von Ralf Gummbein, reichen Scheichs und anderen Leuten

Im geheimnisvollen Morgenland lebten früher Wesire und Großmogule, und man unternahm unglaubliche Reisen auf fliegenden Teppichen. Jetzt geht es sogar in den Märchen zeitgemäßer zu, zumindest, was die Geschichten des Nürnberger Kinderbuchautors Karl Dieter Wilhelm betrifft. Zum Beispiel gibt es »In Arabien weit hinten« Ölquellen, weshalb der Scheich sehr reich ist und sich alle Wünsche erfüllen kann. Deshalb fliegt er per Jumbo-Jet nach Schottland, um in eine Gegend zu kommen, in der es immerzu regnet. Mehr sei hier nicht verraten, nur so viel, dass sich auch in der Gegenwart seltsame Sachen ereignen, die Kinder faszinieren. Wie schon in seinem ersten Band erzählt »Opa Dieter« auch im jüngsten Vorlesebuch von verrückten Begebenheiten, die sich in der Fantasie so oder so ähnlich zugetragen haben können. Der Autor, selbst Großvater von fünf Enkeln, schreibt wie er spricht, was in seiner unmittelbaren Ausdrucksweise der kindlichen Erfahrungswelt entgegenkommt. Außerordentlich geglückt sind die Illustrationen von Sabine Sofie Brooks, die die fantasievollen Geschichten lustig untermalen.

Karl Dieter Wilhelm, »Opa Dieter, haste noch ’ne Geschichte?«, Canim Verlag, Nürnberg, 2016, € 11,95

Mitten im Schlamassl

Mal treffender Wortwitz, mal purer Nonsens, mal hochdeutsch, mal fränkisch: Konrad Biller, den Nürnbergern bekannt als Dichter und Satiriker, hat einen neuen, schmalen Lyrikband vorgelegt. Im »Schlamassl!« – so der Titel – sitzt der Leser selber drin, auch wenn er vor lauter Vergnügen die versteckte Wahrheit erst später mitkriegt. In echter Morgenstern-und-Gernhardt-Nachfolge fasst der fränkische Verseschmied wieder Heiteres und Widersinniges in Reimen zusammen, die einfallsreich und hintersinnig wie immer von Manfred Schaller, Nürnberger Künstler und Grafiker, illustriert sind. Dass es den eigentlich erheiterten Leser hin und wieder fröstelt, liegt an beklemmenden Tatsachen, die Biller – hier fast ein Philosoph – in seine Gedichte packt. Auch das macht die Qualität seiner Lyrik aus.

Konrad Biller, »Schlamassl!«, Fahner-Verlag, Lauf a. d. Pegnitz, 2015, € 12,80

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