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Amrie und Hanns-Karl Zwinscher suchen in Nürnberger Schulen nach Schauspieltalenten – aber auf gänzlich andere Art als Dieter Bohlen und Konsorten!

Ohne Erfolgsdruck, dafür mit ganz viel Gefühl: Amrie und Hanns-Karl Zwinscher bei der Arbeit. Foto: Michael Matejka
Ohne Erfolgsdruck, dafür mit ganz viel Gefühl: Amrie und Hanns-Karl Zwinscher bei der Arbeit. Foto: Michael Matejka
Das Mädchen steht auf und verknotet die Hände. Schüchtern beginnt sie zu sprechen. »Lauter, du hast doch was zu sagen!«, wird sie von Amrie Zwinscher ermutigt. Hanns-Karl Zwinscher hebt mit freundlichem Gesicht seine Hände passend dazu. Seit sechs Jahren castet das Ehepaar Schüler für pädagogische Theaterprojekte, so wie heute die sechste Mittelschulklasse der Bismarckschule im Nürnberger Nordosten. Die Botschaft der ehemaligen Lehrkräfte, die wohl als ältestes Casting-Team Deutschlands gelten können: »Es gibt kein anderes pädagogisches Mittel, das binnen vier Tagen solch eine Veränderung im Charakter hervorruft, wie das Vorsprechen der Schüler für ein Theaterstück.«

Dieter Bohlen kennen sie nicht, aber sie haben von seiner Art gehört. Das stellen Hanns-Karl und Amrie Zwinscher klar, wenn sie sich Schülern vorstellen. Deswegen erwartet die Kinder wohl auch kaum ein Draufdreschen oder Kleinmachen von der 74-Jährigen und ihrem ein Jahr jüngeren Mann. »Wir haben bestimmt schon über 10.000 Schüler gecastet«, rechnet die ehemalige Grund- und Hauptschullehrerin zusammen, die von ihrem Wohnort Hetzles im Landkreis Forchheim aus durch ganz Bayern reist, um die Ensembles für Schultheaterprojekte zusammenzustellen. 28 Aufführungen pro Schuljahr ermöglicht das Ehepaar dem Nürnberger Theaterregisseur Jean-François Drozak, dessen Arbeit vom Bayerischen Sozialministerium gefördert wird. Elf Stücke, die für verschiedene Altersstufen angepasst sind, können Lehrkräfte oder Schulleiter für ihre Schulen ausgewählen. Es geht darin um Integration (»Druckerschwärze«), um die Anerkennung sozialer Berufe (»Herzwerker«), um die Energiewende (»Unter die Haut«), ums Koma-Saufen (»Tube«) oder um das liebe Geld und wie man auch mit wenig davon glücklich sein kann (»Pleitegeier«).

Den Kindern in der Bismarckschule versichert das Ehepaar Zwinscher, dass sie sich wegen eines Blackouts keine Sorgen machen müssen. Was aber wirklich wichtig sei: »Ihr müsst raumausfüllend und deutlich sprechen.« Dann kommt die Frage, wer beim Casting mitmachen möchte. 13 Finger schießen in die Höhe – von 18 Kindern der Klasse. Hier zeigt sich, warum Theaterregisseur Drozak auf die beiden pensionierten Lehrkräfte setzt: Kommen Zwinschers in die Klassen, melden sich doppelt so viele Heranwachsende für das Casting, als wenn er selbst für seine Theaterproduktionen wirbt.

Dem Ehepaar Zwinscher hilft bei der differenzierten Auswahl der jungen Schauspieler ihre pädagogische Erfahrung. Es geht schließlich nicht darum, die besten Schüler herauszusieben. »Es sind sowohl förderwürdige Jugendliche als auch ›durchschnittlich Begabte‹ und einige Leistungsstarke unter den Schauspielenden«, erklärt Drozak.

Für die Bismarckschüler folgt die Mutprobe im Klassenzimmer: Im Halbkreis sitzen die Kinder dem Ehepaar gegenüber, nacheinander stehen sie auf und stellen sich vor: welche Hobbys sie haben, warum sie Theater spielen möchten. Bedacht und deutlich, sehr verbindlich und liebevoll, gehen die Zwinschers mit den Nachwuchs-Talenten um, plaudern mit ihnen. »Wir teilen gerne Perlen aus, jeder auf der Welt ist einmalig und besonders«, sagt Amrie Zwinscher. »Wir pflegen einen Stil des guten Wortes«, fügt ihr Mann hinzu. Beide sind sich sicher: Alle Menschen brauchen das, besonders junge Seelen. »Viele Schüler hören Sätze von anderen, die sitzen wie Schwerthiebe. Das muss nur ein negatives Wort sein, noch nicht einmal Mobbing. Wir wollen dieses Negative wie einen Korken weghauen«, erklärt Amrie Zwinscher. »Das Casting und das Theaterspielen ist für viele ein Aha-Erlebnis. Auch immer wieder für uns beide«, meint Hanns-Karl Zwinscher. Egal, ob man letztlich einer von acht Mitwirkenden ist oder nicht: Zwinschers bestärken alle. Die Kinder wiederum sehen sie als eine Art Großeltern und fassen Vertrauen. »Ein bisschen lauter, du bist doch ein Original, du hast doch etwas zu sagen«, sagt Amrie Zwinscher zur schüchternen Svenja. Es sind solche Sätze, mit denen diese spürbar Aufwind bekommen: Merve kann sich zum Beispiel gut durchsetzen, weil sie zehn größere Geschwister hat. Carina ist ein wohlgeratenes Mädchen. Aybars ist hilfsbereit und schnell. »Ihr werdet euren Weg machen, auch wenn es manchmal schwierig scheint«, ermutigen die beiden Senioren die Sechstklässler. Letztlich wählen sie in der Klasse vier Kinder aus, einen Jungen und drei Mädchen.

Das Aufspüren junger Theatertalente machen die Zwinschers ehrenamtlich und bekommen lediglich Fahrt- und Verpflegungskosten ersetzt. »Es ist eine sehr schöne Unterbrechung des Alltags«, sagt Hanns-Karl Zwinscher, »das Salz in der Suppe des Lebens«. Alle acht bis 14 Tage fahren sie durch die Region oder ganz Bayern, um junge Leute zu casten. Amrie Zwinscher sagt, sie sei schon immer »verrückt nach Kindern und Blumen« gewesen. Deswegen sei es ihre Berufung gewesen, Lehrerin zu werden. Mit 35, 39 und 40 Jahren ist sie dann selbst Mutter geworden. »Wenn ich zurückdenke, habe ich immer mit Kindern gespielt, das liegt mir einfach im Blut.« Und ihr Mann, der fast Profi-Tennisspieler geworden wäre und letztlich an der Wirtschaftsschule lehrte, fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: »Ich kann mit meiner Frau in schöne Städte wie Passau fahren und sie in gute Restaurants entführen. Das würden wir ohne diese Aufgabe so sicher nicht machen.«

Andrea Munkert

Theaterregisseur Jean-François Drozak ist auf der Suche nach -weiteren Castern in ähnlichem Alter, bevorzugt paarweise. Mehr unter planung@kunstduenger-nuernberg.de oder telefonisch unter 0178 / 697 41 86.

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