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Cartoon: Sebastian Haug

Alt sein ist ganz anders, als man es sich in jungen Jahren vorgestellt hat – findet unsere Kolumnistin Brigitte Lemberger. Früher konnte sie sich nie vorstellen, dass sie später bestimmte Sachen machen, sagen oder tragen würde. Mittlerweile hat sie ihre Meinung geändert. Mittlerweile schätzt sie sogar Anziehsachen in Baby-Farben. Aber lesen Sie selbst …

Als ich jung war – ein Weilchen ist das schon her – hatte ich ganz konkrete Vorstellungen von meinen späten Lebensjahren. Eine Menge Dinge wusste ich genau. Ein paar davon:

Mit Sechzig würde ich in ein Altersheim ziehen. In diesem extrem hohen Alter könnte ich den Alltag sowieso nicht mehr allein bewerkstelligen, und die Hilfe etwaiger Verwandter würde ich nicht in Anspruch nehmen wollen.

Ich würde niemals Rosa tragen und auch nicht Himmelblau – bloß keine Baby-Farben. Schwarz und Grau kämen natürlich auch nicht in Frage, denn das macht zusätzlich alt.

Ich würde nie, nie, nie zu den Kindern meiner Freundinnen sagen: »Ich habe dich schon gekannt, als du sooo klein warst« und meine Hand ungefähr fünfzig Zentimeter über den Boden halten.
Ich würde um keinen Preis die Welt mit meinen guten Ratschlägen beglücken und niemals käme mir der Satz über die Lippen: »Also zu meiner Zeit…«

Ich würde vor allen Dingen nicht dauernd über Krankheiten reden und Arztbesuche zum Hauptinhalt meiner Gespräche machen.
Ich würde – ach, ich weiß nicht, was sonst noch alles. Auf jeden Fall würde ich eine feine alte Dame sein, die zurückgezogen lebte, ihre Nachmittage in Parks verbrächte und die Abende mit einem Buch.

Ach du lieber Himmel, ich muss wirklich sehr jung gewesen sein, damals! Wie konnte ich ahnen, welchen Spaß es macht, bei einer Begegnung mit den inzwischen erwachsenen Kindern meiner Freunde voller Begeisterung festzustellen: »Mein Gott, bist du groß geworden! Ich habe dich schon gekannt, als du soooo klein warst!« Dazu die entsprechende Handbewegung. Oder dem jungen Bräutigam, der mir zum Kennenlernen vorgestellt wird, die Fotos seiner Liebsten vorzuführen, als sie im Sandkasten spielte und »so süß aussah!«.

Rosa und Hellblau übrigens, schätze ich jetzt als durchaus attraktive Farben. Sie machen so frisch! Schwarz und Grau wirken immer elegant und überhaupt: Eine Frau in meinem Alter kann einfach alles tragen. Bloß – vielleicht – keine weißen Schuhe.

Was die guten Ratschläge betrifft: Ich halte mich zurück, so gut es geht. Aber manchmal muss ich doch aus dem reichen Schatz meiner Erfahrungen schöpfen und meine Mitmenschen daran teilhaben lassen. Dann lasse ich gern wissen: Zu meiner Zeit war wirklich Vieles besser, vor allem die Manieren. Wir haben früher beispielsweise die Ellbogen beim Essen nicht auf den Tisch gelegt und ganz sicher nicht aus der Flasche getrunken. Die Kinder hielten bei Tisch den Mund und was Vater sagte, war Gesetz. Wir haben im Treppenhaus gegrüßt und den Müll nicht auf die Straße geschmissen. Die Herren haben den Damen die Tür aufgehalten, und am Sonntag zog man feine Sachen an. Das muss doch mal gesagt sein.

Hach, und die Krankheiten! Ein ergiebigeres Thema ist kaum vorstellbar. Das werden die Jungen schon noch merken, wenn sie mal in unseren Jahren sind. Mit Altersgenossen genüsslich auszutauschen, wo es heute wieder zwickt, wirkt entspannend und endet häufig mit dem Satz: »Du, das hatte ich auch schon mal! Vielleicht solltest du…«

Wenn ich es recht bedenke, so wird es offenbar leider nichts mit der würdigen Greisin, wie ich sie mir damals vorgestellt habe. Doch, nun ausnahmsweise ganz im Ernst, wen kümmert’s? Die heute jung sind, haben anderes im Kopf, als über das Erscheinungsbild der noch nicht oder ganz Alten nachzudenken. Ob die in Turnschuhen umherwandern oder sich in blasses Lila kleiden, egal: Sie sind sowieso unsichtbar.

Text: Brigitte Lemberger

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