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Was sich bei der Pflege ändert

Die Pflegereform bewegt viele Menschen. Schließlich regelt das seit Januar geltende »Pflegestärkungsgesetz« viele Bereiche neu. Erste Auswirkungen sind bereits sichtbar. Wie es die Bundesregierung beabsichtigt hat, wird die Versorgung zuhause gefördert. Die Unterbringung in einem Heim von Menschen, die noch rüstig und daher in einem niedrigen Pflegegrad eingestuft sind, kostet künftig mehr.
Stationäre Pflege ist jetzt vor allem für Menschen bezahlbar, die einen relativ hohen Pflegebedarf haben. Foto: Michael Matejka

Die Pflegereform bewegt viele Menschen. Schließlich regelt das seit Januar geltende »Pflegestärkungsgesetz« viele Bereiche neu. Erste Auswirkungen sind bereits sichtbar. Wie es die Bundesregierung beabsichtigt hat, wird die Versorgung zuhause gefördert. Die Unterbringung in einem Heim von Menschen, die noch rüstig und daher in einem niedrigen Pflegegrad eingestuft sind, kostet künftig mehr.

Aber das sind nur zwei große Tendenzen. Wie bisher hängt es sehr von den individuellen Bedingungen ab, ob Hilfebedürftige von der Gesetzesnovelle profitieren oder nicht.

Yvonne Knoblauch erhält in diesen Tagen viele Anrufe. Sie bedient das VdK-Beratungstelefon. Hier fragen Mitglieder an, wenn sie den neuen Einstufungsbescheid von der Pflegekasse erhalten. Dies geschieht bei allen automatisch, die bereits Leistungen beziehen. Der Betroffene kann meist nicht nachprüfen, ob es beispielsweise richtig ist, dass bei ihm aus Pflegestufe 1 Pflegegrad 2 oder 3 wurde. Hier ist fachlicher Rat nötig. Nach Yvonne Knoblauchs Erfahrung haben es Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen wie etwa Alzheimer oder anderer demenzieller Erkrankungen nun einfacher, finanzielle Leistungen zu erhalten. Dafür wird es für Menschen mit körperlichen Einschränkungen schwieriger, bei Neuanträgen eine gleichwertige Versorgung genehmigt zu bekommen. Denn bei einer Einstufung nach den neuen Richtlinien stehen nicht mehr die Defizite im Vordergrund, sondern Hilfen zum Erhalt der Selbstständigkeit.

Allerdings wurden im Januar noch kaum Einstufungen nach der Neuregelung vorgenommen. Der Medizinische Dienst hatte zunächst alle Hände voll zu tun, den Antragsberg aus den letzten Monaten des Jahres 2016 abzuarbeiten. Insider schätzen, dass der Rückstand in ganz Bayern mehr als zehntausend Anträge umfasst.

Die Ankündigung, dass sich die Zuschusspraxis bei Heimaufenthalten ändern wird, hat zu einem Boom bei den Umzügen ins Heim geführt, stellte Walburga Dietl vom Pflegestützpunkt Nürnberg fest. »Vor Weihnachten waren alle Plätze in Nürnberg belegt«, beobachtete sie. Diejenigen, die noch im alten Jahr umgezogen sind, werden nämlich noch nach der alten Regelung der Pflegeversicherung eingestuft. Für alle Altfälle gilt Bestandsschutz. Entstehen 2017 höhere Kosten als 2016 bei den »übergeleiteten« Bewohnern, zahlt die Pflegekasse den Ausgleichsbetrag an das Heim.

Bei den Kosten für einen Platz im Pflegeheim wird für die Pflegegrade 2 bis 5 ein einrichtungseinheitlicher Eigenanteil abgerechnet. Jeder Heimbewohner erhält zusätzlich von der Pflegekasse – je nach Pflegegrad – einen Zuschuss. Dieser unterscheidet sich von den Leistungen vor der Pflegereform. Ein Beispiel: Wer nach der alten Regelung die Pflegestufe 1 zuerkannt bekommen hätte und jetzt den Pflegegrad 2 erhält, bekommt 294 Euro weniger im Monat als er 2016 bekommen hätte. Der Unterschied zwischen Pflegestufe 1 und Pflegegrad 3 beträgt immerhin noch 68 Euro im Monat. Eine Besserstellung haben stark pflegebedürftige Personen mit Pflegestufe 3 beziehungsweise Pflegegrad 4 erhalten. Sie bekommen 163 Euro mehr im Monat; bei Härtefällen in Pflegegrad 5 sind es 10 Euro.

Durch diese Förderpraxis, die fittere Ältere bei einem Heimaufenthalt schlechter stellt, befürchten nun etliche Heimbetreiber eine deutliche Veränderung bei der Zusammensetzung der Bewohner. Schon heute gehen die Menschen häufig erst in eine stationäre Einrichtung, wenn sie schon sehr gebrechlich sind. Dieser Trend werde sich wohl noch verstärken, meint Monika Strobel. Die stellvertretende Leiterin des NürnbergStift NüSt kann dem Pauschalbetrag aber auch eine positive Seite abgewinnen. So werde es einfacher, die Heimkosten zu kalkulieren, und die Bewohner oder Familien könnten eher einschätzen, was an finanziellen Belastungen auf sie zukommt. Denn bisher stieg der Eigenanteil für die Heimunterbringung mit höherer Pflegestufe.

Schwierig findet Strobel allerdings, dass relativ rüstige Menschen, die in der Pflegestufe Null waren und jetzt keinen Pflegegrad erhalten, gezwungen sind, zu Hause zu bleiben. Egal, ob die Heimunterbringung eventuell auch wegen einer drohenden Vereinsamung besser wäre.

Komplizierte Bescheide

Ähnlich sieht es auch Matthias Eichler. Der Leiter der Pflegekasse AOK Mittelfranken hat in den ersten Wochen des Jahres einen erhöhten Beratungsbedarf bei den Mitgliedern festgestellt. Dieser betrifft gerade den stationären Bereich. Insgesamt 22 000 Menschen beziehen aktuell Leistungen von der AOK Pflegekasse in Mittelfranken. Viele werden in das neue System übergeleitet. Manche nutzen die Gelegenheit und stellen Anträge auf Leistungen, die nach dem alten Recht nicht gewährt wurden. Sie hoffen, dass es nach der Reform doch klappt, erklärt Eichler. Ob sie damit Erfolg haben, muss sich zeigen.

Auch bei der Angehörigenberatung der Alzheimer Gesellschaft in Nürnberg fragen vermehrt Betroffene um Rat. »Wir müssen häufig die Bescheide erst einmal übersetzen«, sagt Barbara Lischka. Denn die seien so kompliziert formuliert, dass sie von den Betroffenen und ihren Familien manchmal nicht verstanden werden. Die Sozialpädagogin berät ausführlich, welche zusätzlichen Hilfen in Frage kommen. Schließlich hat sich die Situation für Demenzkranke deutlich verbessert, findet sie. Vieles, was bei dem alten Begutachtungssystem »komplett unberücksichtigt blieb«, wird jetzt anerkannt. Fakt sei, dass »viele Leute, die wir betreuen, mehr Geld erhalten«.

Möglichkeiten ausschöpfen

Eine Erleichterung für die Pflege zu Hause ist der Entlastungsbeitrag. »Leider sind die Hürden in Bayern hoch für private Dienste, die so etwas anbieten möchten«, bedauert Lischka. Deshalb ist der Markt leergefegt und viele Anspruchsberechtigte finden gar keinen Dienst, der die nötige Hilfe auch sicherstellt.

Ähnliches beklagt Yvonne Knoblauch vom VdK. Sie ärgert, dass die 125 Euro, die für hauswirtschaftliche Hilfe vorgesehen sind, nicht an die Betroffenen ausgezahlt werden. Sie können nur über entsprechende zugelassene Hilfsdienste abgerechnet werden. Hier sieht sie Nachbesserungsbedarf. Sonst können Putzfrauen oder nachbarschaftliche Hilfe nicht ebenfalls davon bezahlt werden. Deswegen seien viele Anrufer enttäuscht.

Wie sich die einzelnen Bausteine der Pflegereform genau auswirken, wird sich in den nächsten Monaten herausstellen. Walburga Dietl ist es wichtig, dass die Betroffenen wissen, wie sie die verschiedenen Leistungen miteinander kombinieren können. Werden alle Möglichkeiten von der Entlastungspflege bis zur Tagesbetreuung ausgeschöpft, ergibt es eine so große Summe, dass die Versorgung in den eigenen vier Wänden ohne finanzielle Mehrbelastung leistbar sein müsste.

Ob allerdings in Zukunft der politische Wille, »ambulant vor stationär« in der Pflege durchzuhalten ist, bezweifelt nicht nur Matthias Eichler von der AOK. Für ihn, wie für andere Experten auch, wäre eine Gleichstellung beider Systeme die bessere Regelung. Auch Monika Strobel ist skeptisch, was die weitere Entwicklung der Heimversorgung anbelangt. Es könnte sein, dass der Wegfall der rüstigen Bewohner in den Einrichtungen zahlenmäßig durch den demografischen Faktor aufgewogen wird. Da immer mehr Menschen immer älter werden, benötigen sie in den letzten Lebensjahren häufig einen Heimplatz, was zur Auslastung der Kapazitäten beitragen dürfte.

Information
Beratungstelefon »Pflege und Wohnen« des VdK (auch für Nichtmitglieder) Tel: 089/ 2117 – 112
Montag bis Freitag 8:00 –12:00 Uhr, Donnerstag 15:00 – 18:00 Uhr
E-Mail: lebenimalter.bayern@vdk.de

Angehörigenberatung e. V. Nürnberg, Adam-Klein-Str. 6, 
90429 Nürnberg, Fachstelle für pflegende Angehörige
Tel: 0911/26 61 26, Fax: 0911/28 76 08 0
E-Mail: info@angehoerigenberatung-nbg.de

Pflegestützpunkt im Seniorenrathaus Heilig Geist, 
Hans-Sachs-Platz 2, 90403 Nürnberg, Tel: 0911/53989 53,
E-Mail: info@pflegestuetzpunkt.nuernberg.de

Text: Petra Nossek-Bock

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