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Cartoon: Sebastian Haug

Mit achtzig tauchen lernen? Mit neunzig einen Marathon laufen? Unser Kolumnist Herbert Heinzelmann wehrt sich gegen den Zwang, auch im Alter immer perfekter werden zu müssen. Und er wünscht sich ein Leben ohne Druck von außen.

Das war doch immer ein Lebenstraum: Selbstbestimmt sein im Alter. Die Kontrolle über das Dasein nicht in andere Hände geben müssen. Die späten Jahre ohne große Gebrechen bewältigen.

Heute klingt das beinahe altmodisch. Urgroßmütterlich. Urgroßväterlich. Selbstbestimmt? Das reicht nicht mehr. Selbstoptimiert müssen wir sein. Das Allerbeste aus uns herausholen. Indem wir uns selbst vermessen. Nach Maßgabe der Messdaten dann selbst verbessern. Und verbessern. Und verbessern. Bis wir die optimierten Alten sind. Die optimistischen Alten. Womöglich dann auch gar keine Alten mehr. Sondern die muskulär fitten, geistig blitzenden Menschen an der Schwelle zum »Tod«. Wobei dieses Wort unaussprechlich, eigentlich sogar undenklich ist. Es könnte ja die Optimierung trüben.

Wovon reden wir? Davon, dass wir das Allerbeste aus uns machen wollen und sollen. Dass wir werden, nicht wie wir gemacht sind, sondern wie wir uns machen. Das tolle Ich muss erscheinen. Es bleibt uns kaum etwas anderes übrig im Wettbewerb der Individuen. Und der endet nicht mit der Rente. Der geht dann erst richtig los. Denn jetzt haben wir ja »Zeit für uns«. Also schauen wir, wie es die Jungen halten, denn mit 70 (oder so) fängt das Leben erst an.

Mit 90 zum Marathon

Die Jungen sprechen von »Self-Tracking«. Das heißt, sie kontrollieren sich unentwegt mit Geräten. Smartphone-Apps messen ihre Körperdaten. Schrittzähler am Oberschenkel halten ihre Bewegungen fest. Internetdienste teilen ihnen mit, wie viele Seiten sie von dem Buch schon gelesen haben, dessen Lektüre sie für die laufende Woche einplanen. Armbänder registrieren Kalorienverbrauch, Pulsschlag, Blutdruck. Und nachts hört das nicht auf. Dann erforscht ein Stirnreif die Gehirntätigkeit und schickt die Ergebnisse aufs Handy. Morgens studiert der Optimierer die Grafik seines Schlafmusters und überlegt, warum er wohl fünf Mal aufgewacht ist und wie sich die Quote reduzieren ließe.

So einer ist das Vorbild für uns Alte. Denn Optimieren ist keine Frage des Geburtsdatums. Mit achtzig lernen wir tauchen. Mit neunzig laufen wir Marathon. Blöd nur, wenn man gerade aus Nepal zurückkommt und die Diagnose einer unheilbaren Krankheit erfährt. – Pfui über diese gedankliche Verirrung! Sie könnte die Optimierungslust trüben.

Oder doch nicht? Der Tod wird auch immer besser. Weil selbstbestimmter. Die Deutschen krümmen sich zwar noch unter ethischen Bedenken. Die Niederländer machen längst keine aussichtslose Krankheit mehr zur Voraussetzung für aktive Sterbehilfe. Die Regierung diskutiert darüber, dass man auch »aussichtslos leiden« könne, ohne krank zu sein. Der Sterbewunsch müsse freilich von einer Expertenkommission geprüft werden. Vielleicht gibt es aber bald Handy-Apps, welche die Intensität des Sterbewunsches registrieren und an die Kommission weiterleiten. War man früher da nicht noch selbstbestimmter? Aber das Wort »Selbstmord« wollen wir selbstverständlich vermeiden.

Die Gesellschaft profitiert

Also zurück zum Optimieren. Uns Alten bleibt ja kaum etwas anderes übrig. Man erwartet von uns inzwischen, dass wir perfekt funktionieren. Darauf deutet die jüngste »Generali Hochaltrigenstudie« hin (klingt »altrig« nicht viel jünger als »alt«?). Sie wurde erstellt vom Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg, und sie sorgt sich nicht etwa um das »selbstverantwortliche«, sondern um das »mitverantwortliche« Leben der Hochaltrigen. Sie misst, was wir so tun mit unserer »Mitverantwortlichkeit« in Familie und Gesellschaft. Zum Beispiel, dass wir unseren Nachbarn im Alltag beistehen. Oder dass wir »unterstützende, anteilnehmende Gespräche mit nachfolgenden Generationen« führen. Indem die Studie misst, verlangt sie zugleich. Denn wir sollen das alles tun, weil professioneller Geschichtsunterricht oder professionelle Nachbarschaftshilfe zu teuer sind. Dafür müssen wir optimiert sein. Und wollen die Optimierung ganz stark.

Da sollten wir uns nicht von einem Autor verunsichern lassen, der ein Buch zum Thema geschrieben hat (»Zonen der Selbstoptimierung. Berichte aus der Leistungsgesellschaft«). Felix Klopotek heißt dieser Autor. Und er mäkelt herum: »Wir verpflanzen ein totalitäres Regime von Leistungs- und Konkurrenzbewusstsein in uns. Aber dieses Regime ist brüchig. Denn so wenig sich das Selbst eindeutig bestimmen lässt, so wenig lässt sich von der Selbstoptimierung reden. Es existieren viele Selbstoptimierungen: Auf dem Gebiet der Familie, der Freizeit, der Arbeit, der Liebe – überall gibt es was zu optimieren. Dabei geraten diese Techniken der Internalisierung von Leistungsnormen miteinander in Konflikt. Jeder weiß, wie schwer Arbeit, Familie, Liebe, Sport, Gesundheit miteinander zu versöhnen sind. Eigentlich gar nicht. Und so schießt am Ende die Selbstoptimierung in ihrer mannigfaltigen Gestalt über sich selbst hinaus. Sie wird an ihrem Erfolg zugrunde gehen.«

Der Körper als Statussymbol

Und dann? Sind wir dann wieder auf uns selbst zurückgeworfen? Auf das bisschen »Selbstbestimmtheit«, das wir noch vor wenigen Jahren als eine optimale Altersbefindlichkeit erhofft hatten? Aber dann würde unser Körper erneut ein »äußerlich zugerichteter Anzeiger für ein kaum entrinnbares soziales und physiologisches Schicksal: Religion, Region, Stand oder Beruf«. Oder eben Alter. Und davor warnt die Soziologin Paula-Irene Villa. Denn heutzutage würde der Körper »als Ausdruck eines inneren Willens« gelesen. Der innere Wille besorge die »Körpergestaltung«. Und diese sei ein Statussymbol. »Wichtig wird sein, dass man dem Körper jeweils den Willen zur Optimierung ebenso ansieht wie das Wissen um das richtige Maß.«

Das mit dem richtigen Maß ist aber die Schwierigkeit. Zwar bieten sich immer mehr »Coaches« an, uns genau zu diesem Maß hin zu trainieren. Doch irgendwie ahnen wir, dass solche Unternehmungen hauptsächlich Geschäftemacherei sind. Vielleicht ist ja das ganze Gerede von der Selbstoptimierung kaum etwas anderes und nichts als eine Legende. Wie wäre es denn, ein bisschen Selbstzufriedenheit dagegen zu halten? Oder gar Selbstgenügsamkeit? Es genügt mir, zu sein, wie ich bin. Ich muss daran nichts verbessern. Und wenn es mir nicht besser geht, dann kann ich mir immer noch helfen lassen. Nicht von einem überzüchteten Selbst sondern von einem zugewendeten Anderen.

Das wäre Leben ohne Druck von außen. Und das ist optimal im Alter.

Text: Herbert Heinzelmann

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