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Bitte nicht lächeln

 Hello All, von wegen „bitte recht freundlich“. Meine Vorfahren schauten todernst in die Kamera. Dabei sollen recht fröhliche Zeitgenossen darunter gewesen sein. Doch irgendwie schien, egal auf welchen Kontinenten, allen Porträtierten und zu Gruppenbildern Arrangierten beim Fotografen der Frohsinn zu versiegen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die frivolen Zwanziger Jahre hinein drückte die Mimik Moll bis Blues aus, sobald es zum Lichtbild ging. Hochgescheite haben zu diesem interkulturellen Phänomen etliche Erklärungen eingesammelt. Wollten unsere Altvorderen die beim Lächeln freiwerdenden Zähne nicht zeigen? Die meisten Menschen litten schon im mittleren Alter an unschönen Gebissen, Ältere hatten fast durchwegs Zahnlücken. Ebenso plausibel klingt der Hinweis auf die mehrere Sekunden langen Belichtungszeiten, während denen man regungslos verharren musste. Das ging mit ernster Miene leichter als mit hochgezogenen Augenfältchen, Mundwinkeln und anderen Heiterkeitsmuskeln. Vielleicht war die Situation steif. Denn wer sich vor 100 Jahren oder früher ablichten ließ, bemühte nur zu besonderen Anlässen einen Berufsfotografen. Der wiederum hätte seinen guten Ruf zu verlieren, wären die Abgebildeten zu alltäglich verewigt worden.

Mich überzeugt eine kultursoziologische Analyse. Die besagt, dass nur gesellschaftliche Randgruppen wie Narren, Betrunkene, Irre, Arme, Schausteller, Naive und Kinder sich in der Öffentlichkeit heiter zeigen durften.  Frau und Mann von Format zeigte Haltung und emotionale Contenance. Man ließ sich seriös und verantwortungsbewusst inszenieren. Das änderte sich allmählich mit dem Aufkommen von handlichen Kleinbildkameras und belichtungsschnellen Rollfilmen. Von da an fotografierten die Laien selbst und die Profis entwickelten die Bilder.  Mit preiswerten und bedienungsfreundlichen Kameras konnte zunehmend jedermann alles, vor allem privat Bedeutsames knipsen, und das spontan. Nicht mehr die Botschaft von Seriosität, sondern die Erinnerung an Lebensglück und Erlebnisse rückten in den Vordergrund. Diese kann man mit einem spontanen Lächeln, V- Zeichen mit den Fingern oder Freudensprung bildlich feiern. Insofern sind mir die modernen Zeiten dann doch die sympathischeren. Bitte weiter lächeln.

Ihr Global Oldie

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