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Das war schick: Der Duden in der Schrankwand

Liebe Leserin, lieber Leser,

immer wieder erinnern wir uns an Dinge des Alltags, die in vergangenen Jahrzehnten einmal richtig »schick« waren. Wer sie besaß oder nutzen konnte, war auf der Höhe der Zeit. Heute sind sie nicht mehr angesagt, weil wir inzwischen auf anderes mehr Wert legen. Oder sie sind im Zuge unserer veränderten Lebensgewohnheiten und vor allem mit der Entwicklung des digitalen Datenverkehrs überflüssig geworden.

Wann wurde noch mal Thomas Mann geboren? Wo wachsen Maiglöckchen am besten? Und: Seit wann gibt es die Olympischen Spiele der Neuzeit? Wer in den 60er, 70er oder 80er Jahren vor solchen Fragen stand, der erhielt die Antworten meist nicht ruckzuck, sondern musste erst einmal ein paar Schritte gehen. Im besten Fall bis zur Bücherwand im eigenen Wohnzimmer, wenn’s schlechter lief mindestens bis zu Onkel Hans ins Arbeitszimmer. Denn dort stand der Große Brockhaus in Reih und Glied: 24 Bände, in Halbleder gebunden, nur der Buchrücken mit strapazierfähigem Leder­imitat bezogen. Eine wahre Pracht. Und ein echtes Statussymbol in Zeiten, in denen das weltumspannende Datennetz mit seinem jederzeit verfügbaren Wissen noch nicht erfunden war.

Tante Maria hatte Meyers Enzyklopädisches Lexikon hinter Glas verstaut, 25 Bände, in leuchtendem Rot, mit Goldprägung. Eine echte Wucht. Nur wenn die Kinder nett fragten, durfte sie einen der dicken Schinken aus dem Schrank holen und nachsehen, was unter »F wie Fußball« so alles in Band 9 (»Fj-Gel«) drinstand. Überraschende drei eng beschriebene Seiten (Seiten 579 bis 582) waren dem beliebten Sport gewidmet. Eine wahre Fundgrube für den Nachwuchs, der gerne zum gedruckten Papier griff. Bildschirm und Rechner hatte schließlich noch niemand zu Hause.

Heute ist das alles ein Kinderspiel. Rasch ins Internet geklickt, einmal Mr. Google befragt oder auf dem Smartphone gewischt. Und sicher wissen Sie längst, ehe Sie diese Zeilen auch nur zu Ende gelesen haben, dass Thomas Mann am 6. Juni 1875 in Lübeck geboren wurde, dass Maiglöckchen, diese feinen Liliengewächse, meist in lichten Laubwäldern am besten gedeihen und dass 1896 die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit in Athen über die Bühne gingen – auf Initiative des Franzosen Pierre de Coubertin. Ich habe das im Enzyklopädischen Lexikon nachgeschlagen. Hat einen Moment gedauert, doch der Duft der alten Seiten – einfach herrlich.

Elke Graßer-Reitzner; Foto: Georg Klietz

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