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Der Samurai mit dem Taktstock

Mit Beginn der neuen Spielzeit 2018/19 übernimmt Kahchun Wong als Chefdirigent die Leitung der Nürnberger Symphoniker. Es ist als ein Signal für Weltoffenheit und Innovationsfreude zu verstehen, wenn ein 32-jähriger Ausnahmemusiker aus Singapur dieses Traditions­orchester leitet. Die Leser des Magazins sechs+sechzig haben am 28. September Gelegenheit, sich einen ersten Eindruck von Kahchun Wong zu verschaffen, wenn er mit den Symphonikern im Musiksaal in der Kongresshalle erstmals das Benefizkonzert der HypoVereinsbank zugunsten von sechs+sechzig und der Lebenshilfe Nürnberg dirigiert. Wir sprachen im Juli telefonisch mit Kahchun Wong über seine Sicht auf die Musik und seine neue Heimat Nürnberg. sechs+sechzig: Guten Abend Herr Wong! Wo erreiche ich Sie ­gerade? (Interview wurde telefonisch geführt)

Kahchun Wong: Ich bin seit einigen Tagen wieder in Japan, draußen auf dem Land. Und obwohl es schon elf Uhr nachts ist, herrscht noch schwüle Hitze.
Fast wie bei uns in diesem Sommer. Was verbinden Sie mit ­Nürnberg?
Als Musikschüler in Singapur hörte ich den Namen »Nürnberg« zum ersten Mal bei Aufführungen der »Meistersinger«. Seitdem war Nürnberg ein absolut magischer Ort für mich. Und zwanzig Jahre später durfte ich als Gastdirigent zum ersten Mal mit den Nürnberger Symphonikern zusammenarbeiten! Es ist eine große Ehre, auf dieser wunderbaren Erfahrung künftig aufzubauen. Dazu erfuhr ich, dass Johann Pachelbel in Nürnberg als Organist tätig war. In dieser Stadt will auch ich wirken! Und abgesehen von der Musik, was bedeutet Ihnen die Stadt? Ich lebe seit Jahren aus Koffern; pendele zwischen Asien, USA, und Europa. Letztes Jahr hatte ich nicht mehr als je 30 Tage an meinen zwei Wohnorten in Singapur und Japan verbracht. Ich will etwas zur Ruhe kommen; vorübergehend ein Zuhause haben. Nürnberg scheint eine gute Mischung zu bieten aus Großstadt und mittelalterlichem Flair. Was werden Sie, bei aller Zuneigung zu Nürnberg, vermutlich vermissen? Sicher meine Katze, die ich vorläufig bei Verwandten zu Hause einquartiere. Vielleicht Klimaanlagen. Ab und zu die vielfältige asiatische Küche. Singapur ist ja ausgesprochen multikulturell, auch beim Essen. Die vertrauten Sprachen. Mein Deutsch ist noch sehr rudimentär. Was jedoch auch einen Vorteil hat. Mit manchen Orchestern plappere ich einfach zu viel, weil alle Englisch beherrschen. In Nürnberg will ich mit dem Orchester überwiegend auf Deutsch arbeiten. So laufe ich vorerst kein Risiko, auch in Nürnberg bei den Proben zu viel zu reden!

Und wie spricht Sie das deutsche, und speziell das Nürnberger ­Publikum an?

In Singapur gehen neben den Älteren auch viele junge Leute, teilweise in Schuluniform, ins Konzert. Das Publikum zeigt sich spontaner und heiterer. Das deutsche Publikum wirkt professionell. Da sitzen Experten auf der Suche nach perfekter Qualität. Anfangs haben mich deutsche Zuhörer fast erschreckt, weil sie so regungslos, mit ernster Miene dasaßen; ohne Zwischenapplaus. Ich kam mir eher wie in einer Prüfung vor, als in einer Veranstaltung, in der Orchester und Publikum gemeinsam die Liebe zur Musik auskosten. Darin ähnelt das deutsche Publikum dem japanischen, das ebenfalls streng und still dasitzt. Erst bei Gesprächen nach den Aufführungen in der Garderobe oder im Hotel habe ich erfahren, wie gefühlsbetont deutsche Zuhörer sein können!

Sie sagten in einem anderen Interview, Sie seien vom Wesen her ein typischer »Singapur Kiasa«. Was meinen Sie damit und wie passt das nach Nürnberg?
Kiasa ist ein Hakka-chinesischer, nicht nur positiv besetzter Begriff. Er umschreibt die vor allem in Singapur gelebte Tendenz, alles besser machen zu wollen als die anderen. Kiasa ist ständiger Wettbewerb um Höchstleistung, in Ausbildung und Beruf. Insofern bieten die hohen Ansprüche des Nürnberger Orchesters und dessen Publikum einen weiteren Anreiz, meine Qualität als Dirigent zu steigern. Ich stehe üblicherweise morgens um 4.30 Uhr auf und bereite mich ab 5 Uhr auf die Partituren vor. Mit dem Orchester probe ich zwischen 9.30 und 15 Uhr; abends dann Aufführungen. In der Kiasa-Stimmung sehe ich mich selbst als eine Art Samurai. Anstatt mit dem Schwert suche ich mit dem Taktstock die Perfektion in meinem Tun. Verschreckt dieser Ehrgeiz nicht Ihr Orchester? Ich denke nicht. Jeder versucht, sein Bestes zu geben. Ich strenge mich an, optimal vorbereitet mit dem Orchester die Möglichkeiten der Stücke auszuloten. Seit meiner Jugend genieße ich Musizieren als kollektives Erlebnis. Es macht mich glücklich, wenn ich zusammen mit den Musikern den Geist der Stücke entschlüssle und das Publikum auf eine emotionale Reise durch die Höhen und Tiefen der Gefühle mitnehmen kann. Wie in einem Film mit bewegender Handlung. Gemeinsam entfesseln wir jene Stimmungen, die Brahms, Bruckner oder Mahler in den Partituren eingefangen hatten.

Wie kommt es, dass Sie sich als junger Südostasiate ausgerechnet durch europäische Klassik faszinieren lassen?
Westliche klassische Musik ist in Asien etwas relativ Neues; sie gilt nicht als typische »Opa-Musik«; das macht sie attraktiv für Junge. Asiatische Klassik ist erst im Entstehen; sie hat noch nicht diese Reife und Inspiration wie die europäische. Ein vielversprechender zeitgenössischer Komponist klassischer Musik in Asien ist zum Beispiel Yii Kah Hoe aus Malaysia. Es gibt auch Gemeinsamkeiten, etwa bei den Anleihen aus der Volksmusik und deren Tänzen, wie diese von Brahms oder Bartok zitiert werden.

In Deutschland gilt klassische Musik als ernste Musik, die überwiegend Ältere und Gebildetere anspricht. Sie erwähnten schon, dass das in ihrer Heimat anders ist. Inwiefern?
Bei uns genießt Bildung einen sehr hohen Stellenwert, auch die Musikerziehung. Ich fand den Weg zur Musik, weil einer meiner Lehrer ein Mitglied für sein Blasorchester brauchte und mich direkt ansprach. Daraus erwuchs meine Leidenschaft, obwohl ich aus einer nicht musikaffinen Familie der unteren Mittelschicht stamme. Vor diesem Hintergrund habe ich später mit anderen zusammen in Singapur das »Infinitude Project« (Unendlichkeits-Projekt) begründet, das gezielt Kinder unterprivilegierter Familien anspricht, und sie an die Musik, auch zum Mitmachen, heranführt. Planen Sie Ähnliches in Nürnberg? Beim Klassik Open Air am 4. August haben wir »Sunny Island« gespielt; mit Kinderstimmen aus Singapur als Gruß an die Kinder und Jugendlichen in Nürnberg. Ich denke schon, zusammen mit der Enkelin von Gustav Mahler und ihrer Stiftung auch hier etwas Spezielleres für die Jugendlichen zu organisieren. Mir geht es darum, Liebe und Respekt vor der Klassik zu ermöglichen, die jeder empfinden kann.
Interview: Matthias Fargel; Foto: Torsten Hönig

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