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Wie Eda und Johanna Freundinnen wurden

Zwei, die sich gut verstehen: Johanna Schaffner und Eda Tufan. Foto: Michael Matejka

Johanna Schaffner strahlt. »Meine Schülerin wartet auf mich«, sagt sie, während sie sich auf ihren Rollator gestützt den Gang des Pflegeheims entlang bewegt. Schaffner ist zwar keine Lehrerin, eine Schülerin hat sie trotzdem, ihr Name ist Eda Tufan. Jeden Mittwoch treffen sich die 13-Jährige und die 84-Jährige, schon seit fast einem halben Jahr bilden sie ein Gespann. Das ist der Grund, weshalb sich Johanna Schaffner auf die Wochenmitte freut.

Auch Eda grinst. Obwohl sie sich heute über Mitschüler geärgert hat. Jetzt aber ist der Zorn verflogen, das Mädchen lächelt, während sie neben Johanna Schaffner im fünften Stock des Rummelsberger Stifts St. Lorenz in Nürnbergs Altstadt sitzt. Eda hilft der 84-Jährigen einen wie eine Blumenblüte aussehenden Handtrainer anzulegen. Alle fünf Finger müssen dazu in die Schlaufen aus Silikon, Schaffners Aufgabe ist es dann, die Hand so weit wie möglich zu öffnen. Das trainiert die Muskulatur in den Fingern.

Zur Belohnung folgt darauf eine Massage. Eda schnappt sich einen Igelball mit Gummi-Stacheln und fährt damit über den Rücken der 84-Jährigen. Im Lorenzstift ist diese Woche Wellness-Woche – das gilt auch für den Mittwoch, wenn sich hier Jung und Alt treffen. Eda und Johanna Schaffner genauso wie andere Senioren und Schüler. Die Siebt- bis Neuntklässler kommen von der Ganztages-Mittelschule Insel Schütt – und gehören dort zur Arbeitsgruppe »Jung & Alt aktiv«.

Treffen gibt es seit acht Jahren
Seit acht Jahren arbeitet die Religionspädagogin Jennifer Graumann in der von ihr gegründeten AG mit Jugendlichen zusammen – und mit dem Rummelsberger Stift St. Lorenz. Ihre Idee ist, alte Menschen und junge Leute zusammenzubringen, um den Alltag der Senioren zu beleben und bei den Schülern Sensibilität für das Leben im Alter zu wecken.

Am Anfang wusste auch Jennifer Graumann nicht, was daraus werden würde. Acht Jahre später ist klar: Die AG ist ein Erfolg. Die Zahl der Schüler-Anmeldungen ist so hoch, dass Graumann nach einem halben Jahr die Jugendlichen tauscht, um möglichst viele mitnehmen zu können, wenn sie mittwochs gemeinsam mit den jungen Menschen von der Insel Schütt in Richtung des Stifts in der Hinteren Sterngasse läuft. Meistens sind es Mädchen, die sich für die Arbeitsgruppe melden, »wir haben aber immer wieder auch Jungs«.

An denen hat Graumann bislang am besten gesehen, wie die Treffen wirken. »Da waren welche dabei, die im Unterricht kaum zu bändigen waren, die dann aber mit den Senioren liebevoll und einfühlsam umgegangen sind«, erinnert sie sich. Die Respekt vor dem Alter gezeigt haben und daran gewachsen sind. Ein paar Schüler haben so auch ihre Berufung gefunden und sich für die Altenpflege entschieden.

Singen und Waffeln backen
Für Eda Tufan, Selina Schadl und Njomza Tahiri sind die Nachmittage im Stift etwas Besonderes. Diese starten stets auf dieselbe Art und Weise: Die Schülerinnen holen die Seniorinnen, die freiwillig teilnehmen, in ihrem Zimmer ab; anschließend wird gemeinsam Tee getrunken. »Und wenn die Sonne scheint, geht es raus«, sagt Graumann, »das genießen die älteren Frauen im Stift.«

Selina (16) und Njomza (14) freuen sich vor allem über die Geschichten der Seniorinnen. »Sie erzählen sehr viel, zum Beispiel von ihrer Schulzeit«, sagt Selina – oder davon, wie sie selbst beinahe Lehrerin geworden wäre, wie die ältere Frau, die die beiden zum Teetrinken begleiten. Am Ende sei sie dann aber doch bei der Post gelandet, sagt sie, während sie ihren elektrischen Rollstuhl durch die Gänge steuert. Zuvor begrüßte sie die beiden Mädchen mit »Ah, Ihr wieder«, was die Schülerinnen schmunzeln lässt.

Ein vergnügtes Beisammensein von Jung und Alt. Foto: Michael Matejka

Familie, Schulzeit, Krieg, das sind die häufigsten Themen, über die die Seniorinnen mit den Jugendlichen sprechen. Wenn sie nicht gerade gemeinsam Lieder singen, Waffeln backen oder Bratäpfel machen. Für das Programm ist Jennifer Graumann zusammen mit Claudia Liebel vom Lorenzer Stift zuständig. Die Verantwortlichen in der Rummelsberger Diakonie waren von Beginn an begeistert von Graumanns Idee, die so gut bei den Seniorinnen ankommt. »Die leben an diesen Nachmittagen richtig auf«, sagt Liebel.

Gemeinsam werden auch mal knifflige Aufgaben gelöst. Foto: Michael Matejka

Erst recht vor vier Jahren. Zum zehnjährigen Bestehen des Stifts haben sie mit Schülerinnen und Bewohnerinnen gemeinsam ein Theaterstück konzipiert: Szenen aus den Leben der älteren Frauen, dargestellt von ihren jungen Begleiterinnen. »Stolz wie Oskar« seien die Seniorinnen am Ende gewesen, sagt Graumann. Das Stück wurde sowohl in der Schule als auch im Stift aufgeführt.

Gemeinsam in den Bayerischen Wald
Vergangenes Jahr aber hat die AG noch einen draufgesetzt – und ist verreist. Drei Tage haben die Teenager und die 70- bis 80-Jährigen im Bayerischen Wald verbracht. Auch dabei waren Jung und Alt nicht zu trennen. Die Schülerinnen halfen »ihren« Seniorinnen beim Packen, holten sie auf der Reise täglich zum Frühstück ab – und schoben sie im Rollstuhl den Baumwipfelpfad hinauf, um gemeinsam den Ausblick zu genießen. Eine Schülerin, erinnert sich Claudia Liebel, bat sogar um die Erlaubnis, ihrer Begleiterin beim Waschen und Anziehen zu helfen. Die Reise war ein voller Erfolg und soll wiederholt werden, auch wenn dafür finanzielle Unterstützung nötig ist.

Die Beziehung zwischen Schülerin und Altenheimbewohnerin hält manchmal sogar über das Projekt hinaus. »Manche Schülerinnen sind nach Ende des Schuljahrs weiter zum Stift gegangen«, weiß Jennifer Graumann. Weil die Tandems inzwischen mehr waren als eine Arbeitsgemeinschaft. »Wir sind Freundinnen«, sagt Eda. Sie lacht – und Johanna Schaffner ebenso.

Text: Timo Schickler

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