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Leergefegt ist diese Stätte: Kein Mensch, kein Hund ist sonntags in den Einkaufsmeilen unterwegs. Illustration: Sebastian Haug

Wochenenden sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Wie anders war das früher, als man noch in Lohn und Brot stand! Das Wohlgefühl fing schon freitagabends an. Die Welt mit ihren tausend Möglichkeiten lag einem sozusagen zu Füßen. Auch wenn, wenigstens samstags, nichts anderes auf dem Programm stand als der Vorratseinkauf im Supermarkt, das Große-Wäsche-Waschen oder “Rasch-mal-durchwischen”. Sonntags war meistens ausschlafen angesagt, Spaziergang, den Hund bürsten, gemütlich essen und vielleicht ein paar Freunde treffen. Nichts Aufregendes also, und doch: wie wunderbar. Bis montags kein Chef, keine Kollegen und keine Kunden, die nerven – das hätte ruhig so weitergehen dürfen.
Und jetzt, liebe Berufstätige, lest von hier an nicht weiter!
Für Rentner und Pensionäre ist das Wochenende nichts mehr, wonach man sich sehnt. Im Gegenteil. Es unterbricht den geruhsamen Fluss der Tage auf höchst überflüssige Weise. Denn nichts ist besser, als wenn man nach einem gemütlichen Frühstück und ausgiebigem Zeitunglesen in die Stadt gehen kann. Hier pulsiert das Leben, die Menschheit ist emsig unterwegs, und man fühlt sich mittendrin und zugehörig. Auch ein Ausflug ins Grüne macht wochentags Freude. Die Gegend gehört einem allein, im Wirtshaus findet man Platz, und Parkplätze gibt es zur Genüge. Man schnauft durch und freut sich an der gemächlich verrinnenden Zeit.
Am Samstag und Sonntag ist alles anders. Das früher so ersehnte Ausschlafen hat seinen Reiz verloren, denn das kann man nun jeden Tag. Die Wochenendzeitung ist schon am Samstag ausgelesen, die Einkaufstour fällt aus, denn den Sturm auf die Läden überlässt man rücksichtsvoll den werktätigen Zeitgenossen. Das Fernsehprogramm ist »k.v.«, wie der Enkel sagt (»kannste vergessen«), und im Radio gibt es Wunschkonzert. Sonntags sind die Straßen der Innenstadt wie leer gefegt, im Museum war man schon hundert Mal und im sogenannten Umland erholen sich – verdientermaßen – die Familien. Der Nachwuchs hat Besseres vor, als bei Oma und Opa Kaffee zu trinken.
Laut sagen sollte man das als alter Mensch besser nicht, schon gar nicht in Gegenwart der Jungen. Schließlich ist man früher als arbeitender Mensch selbst in die Luft gegangen, wenn die betagte Verwandtschaft im Kalender blätterte und missbilligend feststellte, dass Weihnachten »schon wieder so ungünstig fällt!!!« : Heilig Abend am Mittwoch, erster Feiertag am Donnerstag, zweiter Feiertag am Freitag, dann Wochenende und bald darauf Silvester und Neujahr. Und wäre es damit nicht genug, auch noch Heilige Drei Könige an einem Werktag: »Lieber Himmel, das hält doch kein Mensch aus!« Lauter lange Tage –, und über die Plätzchen freut man sich auch nicht mehr wie damals.
Es gibt etwas, das garantiert hilft gegen den Senioren-Blues an Wochenenden und Feiertagen, und das ist die Erinnerung an jene Jahre, als man noch im Beruf stand. Wie war das doch noch, als man am Mittag des Heiligen Abends eilenden Schrittes seinen Arbeitsplatz verließ, rasch die letzen Einkäufe erledigte, nach Hause rannte, putzte, backte, kochte, den Baum schmückte, die angereisten Lieben zum Fest empfing, die Familie um sich versammelte, aufdeckte, abdeckte, aufdeckte, abdeckte, aufräumte, aufdeckte, abdeckte und so weiter und so fort? Und sich am liebsten am Weihnachtsbaum festgeklammert hätte, um nicht vor Müdigkeit umzukippen. So romantisch war das auch nicht.
Brigitte Lemberger

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