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Depp im Web: Der Tod ist eine Marktlücke

Ich weiß, ich weiß: Killerspiele darf man nicht gut finden – schon aus pädagogischen Gründen. Andererseits: Hier sind wir ja unter uns. Betagtere Menschen wie wir sind charakterlich gefestigter. In Wirklichkeit schnappt sich kein Silver-Shooter ein Maschinengewehr und knallt Pflegepersonal ab. Bei mir hatte das Ballern am Computer sowieso einen ganz anderen Effekt: Mir wurde die Endlichkeit meines Daseins bewusst.

Wenn ich einmal sterbe: Was passiert mit meinen ganzen Online-Accounts? Foto: epd

Ich weiß, ich weiß: Killerspiele darf man nicht gut finden – schon aus pädagogischen Gründen. Andererseits: Hier sind wir ja unter uns. Betagtere Menschen wie wir sind charakterlich gefestigter. In Wirklichkeit schnappt sich kein Silver-Shooter ein Maschinengewehr und knallt Pflegepersonal ab.
Bei mir hatte das Ballern am Computer sowieso einen ganz anderen Effekt: Mir wurde die Endlichkeit meines Daseins bewusst. Wegen einer für mich nicht ganz durchschaubaren Benutzerführung schaffte ich es nämlich nicht, mir rechtzeitig eine Waffe vom Boden aufzuheben. Mit meiner bloßen Hand konnte ich gegen die Orks nichts ausrichten und wurde platt gemacht. Mein Monitor färbte sich rot, und ehe noch der Schriftzug »Game over« erschien, wusste ich: »Weia, jetzt bist du tot.« Selber gestorben bin ich noch nie. Deswegen was das ein Schock. Vor allem, als mir die Folgen bewusst wurden!
Was wird aus meiner Homepage? Wer beantwortet meine E-Mails? Wer übernimmt meine Twitter-Follower? Wer löscht meine kompromittierenden Flickr-Fotos? Wer sagt meinen Freunden, dass sie mir nicht mehr zum Geburtstag gratulieren müssen? Wer erklärt Xing, dass ich keinen Job mehr suche?
Eine Heidenarbeit, wenn man sich, wie ich, auf mehr als hundert Plattformen und Online-Diensten als »verblichen« melden müsste. Raus ist schwieriger als rein. Und wenn ich selber nicht mehr eingreifen kann, müsste jemand meine Passwörter kennen, sonst geht gar nichts. Am besten also: Man regelt seinen digitalen Nachlass, wenn man noch bei Kräften ist.
Dafür gibt es auch eine Lösung. Sie heißt Legacylocker. Das Abmelden wird da mit den notwendigen Anweisungen an eine Vertrauensperson übergeben. Die kann, sobald sie den Totenschein hat, zum Beispiel den Facebook-Status auf »memorialized« setzen. Den Freunden wird so signalisiert: Der antwortet nicht mehr, selbst wenn du ihn anstupst. Statt »Happy Birthday« können sie »R.I.P.« posten, und Mark Zuckerberg verliert nicht durch schnödes Ableben einen Benutzer.
Den Dienst gibt es leider nur auf Englisch und nicht kostenfrei. Auf Deutsch kommt der Schnitter bislang nur analog daher. Interimsweise könnte man es mit Socialsitter probieren, einer Art Urlaubsvertretung für das Facebook-Profil, die Meldungen verschickt, wenn man nicht da ist. Allerdings wird höchstens für zwei Wochen ein Weiterleben simuliert, danach müsste einen wieder jemand anmelden.
Wir sehen also: Beim Tod klaffen noch Marktlücken. Wenn jemand diese schließen will und noch einen Deppen braucht, der mitmacht: Ich bin dabei!
Peter Viebig

Die einzelnen Folgen unserer Kolumnen-Serie “Depp im Web” kann man nicht nur auf dem iPad oder dem Kindle lesen, sondern auch unter www.magazin66.de. Eine Übersicht finden Sie, wenn Sie diesem Link folgen.

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