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Zwei Drittel aller Menschen googeln erst einmal, ehe sie mit Beschwerden einen Arzt aufsuchen, sagen Studien. Mediziner sehen das nicht nur positiv. Denn die Informationen aus dem Netz sind ungefiltert, oftmals werden Krankheitsbilder falsch interpretiert. Prof. Dr. Richard Stangl, ärztlicher Direktor/Chefarzt der Orthopädisch-Unfallchirurgischen Klinik, Klinik für Unfall-, Schulter- und Wiederherstellungschirurgie, Sportmedizin und Sporttraumatologie in Rummelsberg plädiert für das intensive Arzt-Patienten-Gespräch.
Prof. Dr. Richard Stangl plädiert für mehr Arzt-Patienten-Gespräche. Foto: PR

Zwei Drittel aller Menschen googeln erst einmal, ehe sie mit Beschwerden einen Arzt aufsuchen, sagen Studien. Mediziner sehen das nicht nur positiv. Denn die Informationen aus dem Netz sind ungefiltert, oftmals werden Krankheitsbilder falsch interpretiert. Prof. Dr. Richard Stangl, ärztlicher Direktor/Chefarzt der Orthopädisch-Unfallchirurgischen Klinik, Klinik für Unfall-, Schulter- und Wiederherstellungschirurgie, Sportmedizin und Sporttraumatologie in Rummelsberg plädiert für das intensive Arzt-Patienten-Gespräch.

sechs+sechzig: Herr Prof. Dr. Stangl, begegnen Ihnen auch viele Patienten, die sich vorab schon im Internet informiert haben und genau wissen, was ihnen fehlt?
Prof. Dr. Richard Stangl: Wir leben in einer Wissensgesellschaft und das betrifft auch den Bereich der Medizin. Die Menschen informieren sich im Vorfeld, das ist ein Phänomen mit zunehmender Bedeutung. Allerdings finden die Patienten im Netz nur ungefilterte Informationen und haben dann Probleme damit, diese zu bewerten. Denn häufig passen die Dinge, die sie sich angelesen haben, nicht zur konkreten Situation. Verunsicherung ist die Folge dieses Informationschaoses.

Wie wirkt sich das konkret aus?
Ich sprach gestern mit einem 38-jährigen, sportlichen Mann, der mit Kniebeschwerden zu uns in die Klinik kam. Er hatte einen Meniskusschaden und eine O-Bein-Achse. Im Internet hatte er gelesen, dass in solchen Fällen Stammzellen helfen könnten. Die sollte ich in sein Knie spritzen und dann würde sich der Meniskus wieder aufbauen, meinte er.
Tatsächlich gab es im Jahr 2006 einen Nobelpreis für Grundlagenforschung für induzierte Stammzellen. Deshalb setzt man seit zehn Jahren auf solche Therapiemöglichkeiten. Allerdings – und das will ich damit sagen – wird es noch Jahrzehnte dauern, bis wir Stammzellen beibringen können, sich zu Meniskusgewebe zu entwickeln. Solche Informationen schüren bei den Menschen aber die Erwartung: Na ja, vielleicht geht das ja schon sehr bald für mich.

Ist eine Onlinerecherche vor dem Arztbesuch nicht auch eine Vertrauensfrage?
Natürlich ist sie das. Je mehr Vertrauen ich in die Erfahrung des Arztes habe, desto weniger habe ich das Bedürfnis, eine Menge Informationen zu sammeln. Allerdings – und das muss man einfach dazusagen – üben wir eine empirische wissenschaftliche Tätigkeit aus. Es gibt keine hundertprozentige Garantie, dass die Therapie am Ende wirklich hilft. Das Restrisiko, wenn Sie so wollen, ist in der Medizin ungleich höher als bei einer Bank, die fehlerhafte Buchungen ausführt, oder einem Flugzeug, das abstürzen kann. Eine Zweitmeinung kann helfen, das Vertrauen zu stärken – allerdings wird sie besser von einem Fachkollegen und nicht von Google eingeholt.

Hat die Onlinerecherche also tatsächlich nur Nachteile für den Patienten?
Nein, das hat sie nicht. Es kommt auf die Begleitung an, die aber sinnvoll und seriös nur in einem ausführlichen Arzt-Patienten-Gespräch erfolgen kann, das unsere derzeitige Drei-Minuten-Medizin so gar nicht hergibt.
Wer nur googelt, sucht sich anschließend aus, was ihm gefällt. Das ist besonders riskant bei alternativen Therapiemöglichkeiten. Geben Sie etwa »Knorpeltherapie« in die Suchmaske ein, so werden Sie unglaublich viele Dinge finden, die Heilung versprechen. Alle möglichen Pflanzen dieser Erde werden Ihnen angepriesen, ohne wissenschaftliche Evidenz. Ein Fall ist die Braunhirse. Ihr wird Heilkraft zugesprochen ungeachtet der Tatsache, dass sie unglaublich viele Schadstoffe enthält. Statt der versprochenen, ohnehin bescheidenen 10 bis 20 Prozent subjektiver Besserung handele ich mir unter Umständen nur eine Menge Umwelttoxine ein.

Besteht auch die Gefahr, durch zu viele ungefilterte Informationen zum sogenannten Cyberchonder zu werden?
Das betrifft meinen Fachbereich weniger, doch im Bereich der Rückenschmerzen finden sich sicher eine Menge Patienten, die im Internet nach einer rein mechanistischen Erklärung suchen. Dabei ist der Mensch ein Gesamtkunstwerk, biochemische Prozesse spielen eine große Rolle. Das Internet bietet diesen Menschen dann die monokausalen Erklärungen, die sie suchen, die ihnen aber letztlich natürlich überhaupt nicht helfen.

Glauben Sie, dass es Menschen gibt, die nach Dr. Google überhaupt keinen realen Arzt mehr aufsuchen?
Eine reale Gefahr sehe ich an anderer Stelle: Ich hatte eine Patientin, bei der ich im Zuge eines Bruchs zufällig ein Mammakarzinom entdeckte. Sie wollte dies aber nicht behandeln lassen, da sie eine Chemotherapie für sich ausschloss. Stattdessen vertraute sie auf alternative Mittel, die das Internet anpries.

Sie haben den Bereich der Gesundheitspolitik angesprochen. Gibt es überhaupt Raum für ein ausführliches Arzt-Patienten-Gespräch?
In der durchschnittlichen Praxis stehen für das Arzt-Patienten-Gespräch drei bis fünf Minuten zur Verfügung. Der flächendeckende Mangel an ausführlicher Beratung ist auch der Grund, warum ich das Arthroseforum auf der inviva (siehe Seite 20) mache: Ich will eine objektive Darstellung erreichen, ich will den Menschen ausführlich erklären können, dass es auch Risiken gibt, wenn sie eine Hüft- oder Schulter-OP machen lassen. Wer von ungünstigen Folgen einer solchen OP betroffen ist, ist das nämlich zu hundert Prozent – auch wenn das Risiko zunächst gering erscheint.

Interview: Alexandra Buba

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