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Wer will in Mehrgenerationenhäusern leben?

Lieber Himmel, wie wird es werden? Alt und Jung unter einem Dach oder jedenfalls in unmittelbarer Nähe. Ruhebedürfnis hier, Kinderlärm dort, Nachbarn mit dem Wunsch nach Kontakt, und ich selber mitten drin. Will ich das wirklich, das Leben in einem Mehrgenerationenhaus?

»Kinderlärm macht mir Freude«, sagt Rita Schreyer. In der Wohnanlage am Erlanger Stadtrand fühlt sie sich wohl. Foto: Michael Matejka
»Kinderlärm macht mir Freude«, sagt Rita Schreyer. In der Wohnanlage am Erlanger Stadtrand fühlt sie sich wohl. Foto: Michael Matejka

Lieber Himmel, wie wird es werden? Alt und Jung unter einem Dach oder jedenfalls in unmittelbarer Nähe. Ruhebedürfnis hier, Kinderlärm dort, Nachbarn mit dem Wunsch nach Kontakt, und ich selber mitten drin. Will ich das wirklich, das Leben in einem Mehrgenerationenhaus?
Trotz aller Vorfreude: In manchen Nächten vor dem Bezug ihrer funkelnagelneuen Wohnung werden die meisten Mieter wohl leise Zweifel umgetrieben haben, so gut sie sich ihren Entschluss auch vorher überlegt hatten. Inzwischen ist der Umzug bewältigt – ob in die mit dem Mehrgenerationenhaus vernetzte Wohnanlage in Erlangen-Süd oder ins andersWohnen-Mehrfamilienhaus am Karl-Bröger-Platz in der Nürnberger Südstadt. Alle Bewohner haben einander schon ein wenig beschnuppert und bemerkt, dass die Zuversicht nicht getrogen hat, die sie in ein planvolles Miteinander der Generationen gesetzt haben.
Rita Schreyer, 73, gehört zu den ersten Mietern, die in das Haus an der Görkauer Straße 2 in Erlangen Süd eingezogen sind. Die Wohnanlage, Mitte Juli 2009 vom Diözesan-Caritasverband und der Joseph-Stiftung offiziell eingeweiht, entstand in Kooperation mit der Pfarrgemeinde St. Sebald und dem Caritasverband Erlangen unter dem Leitmotiv »In der Heimat wohnen – ein Leben lang. Sicher und selbstbestimmt«. Vernetzt ist der Neubau mit dem angrenzenden katholischen Kindergarten St. Sebald und dem dazwischen liegenden Mehrgenerationenhaus, das die Klammer zwischen beiden Bereichen bildet. Der zweiflügelige Wohnkomplex umfasst 17 Zwei- und Dreizimmerwohnungen und ist durchgängig barrierefrei errichtet.
Rita Schreyer ist hochzufrieden, sowohl mit den eigenen vier Wänden als auch mit ihrem Umfeld. Sehr bewusst hat sie sich, ebenso wie ihre Mitbewohner, für dieses Wohnmodell entschieden. So lange es geht, möchte sie autonom und selbstbestimmt leben und dennoch sicher sein, dass sie nicht ausziehen muss, wenn sie später einmal Hilfe oder Pflege braucht. Sie weiß: Ein Seniorenmittagstisch würde das eigene Kochen ersparen; ein ambulanter, frei gewählter Pflegedienst käme ins Haus oder könnte vom nahe gelegenen Caritas-Stützpunkt angefordert werden. Sie schätzt den freundschaftlichen Ton und die hilfsbereite Art der Hausbewohner, die gepflegte ruhige Wohnanlage und zugleich das bunte Leben, das rundherum stattfindet.
Verena Grosam mit ihren Kindern Enya, Mia und Janick und Mitbewohnerin Herta Juhas finden das Prinzip des »anders Wohnen« einfach genial. Foto: Michael Matejka
Verena Grosam mit ihren Kindern Enya, Mia und Janick und Mitbewohnerin Herta Juhas finden das Prinzip des »anders Wohnen« einfach genial. Foto: Michael Matejka

»Kinderlärm und Kinderlachen machen mir Freude«, sagt die jung gebliebene Dame, die ihr Auto verkauft hat und hier draußen, am Erlangen Stadtrand, viel mit dem Rad unterwegs ist. Fest im Gemeindeleben verankert, ist sie seit je her bereit, sich für andere zu engagieren und will genau das sowohl in ihrem Wohnumfeld als auch im Mehrgenerationenhaus praktizieren. Und einfach dabei sein, wenn etwas los ist, das ihr gefällt.
Geboten wird jede Menge für Jung und Alt: »After-Work-Fitness«, Yoga, Seniorensport, Jugendtreff und Jugendevent, »Schnatterclub«, Seniorenclub, Eltern-Kind-Gruppen, Chor und Kinderbasteln. Dazu kommen Feste und Feiern, Partys, Tanz, Oldie-Disco und vieles mehr. Patengroßeltern werden gesucht und vermittelt, Leseomas und -opas eingeteilt – eine Mammutaufgabe für die Person, die alles koordinieren muss. Glücklicherweise hat Christiane Heil, Leiterin des Mehrgenerationenhauses Erlangen, genau die richtigen Voraussetzungen dafür. Sie ist Informatikerin, fit am PC und in allen organisatorischen Belangen. Mit Menschen locker umgehen kann sie auch, und so bringt sie meist erfolgreich alles und alle unter einen Hut. Ihre kleinen und großen »Klienten« machen es ihr leicht, denn wer hier wohnt, spielt, lernt oder sich ganz einfach vergnügt, ist auf »Miteinander« gepolt und nicht zimperlich, auch wenn es einmal hoch her geht.
Derselbe Grundgedanke – ein freundliches, hilfsbereites Miteinander von Menschen mehrerer Generationen – gilt auch im neuen Wohnkomplex am Karl-Bröger-Platz in Nürnberg. Der schön geschwungene Neubau, der als gelungenes Pendant zum denkmalgeschützten Karl-Bröger-Haus dem Platz ein neues Gesicht gibt, ist für die Südstadt schon unter rein städtebaulicher Sicht ein Gewinn. Für die Bewohner, die seit den Sommermonaten nach und nach einziehen, wird er das aller Voraussicht nach auch sein. Die 44 barrierefreien und zum Teil rollstuhlgerechten Ein- bis Vier-Zimmer-Wohnungen sind an Senioren und Alleinerziehende vergeben, die Kindertagesstätte im Erdgeschoss ist mit Leben erfüllt, und in der Kinderkrippe krähen unter Aufsicht die Kleinsten. Der Alltag hält Einzug im großen Mehrfamilienhaus und wird zeigen, ob sich die hochgesteckten Erwartungen der alten und jungen Mieter erfüllen.
Denn andersWohnen ist nicht nur ein Wort. Es setzt ausdrücklich auf die soziale Kompetenz der Bewohner, die als Genossenschaftsmitglieder der andersWohnen eG Rechte und Pflichten übernommen haben. Dazu zählen etwa Selbsthilfe, Selbstbestimmung und Selbstverwaltung sowie das Recht auf Mitgestaltung im Hausbetrieb. Die Wohnungen sind teils frei finanziert, teils sozial gefördert, die Genossenschaftsanteile vererbbar (sechs+sechzig berichtete im Wohnen Sonderheft 2007 ausführlich über das Projekt).
Herta Juhas und Fred Jantschke sind inzwischen eingezogen und mitten im Praxistest. Der Optimismus der beiden Älteren hat bislang keinerlei Schaden genommen und wird noch übertroffen von der Begeisterung der alleinerziehenden Mütter. Verena Grosam beispielsweise, deren drei Kinder sich über die allgemeine Zuwendung im Haus und »sooo viele Omis« freuen, zählt dazu. »Einfach genial« finden alte und junge Bewohner den Gedanken, einander behilflich zu sein. Was sie alle erfolgreich bewerkstelligen wollen, nennt Christoph Arnold, Vorstandsvorsitzender der andersWohnen eG, offiziell »Versorgungsverbund innerhalb eines familien- und kinderfreundlichen Projekts, das die Lebensqualität des Einzelnen und die Wertevermittlung zwischen den Generationen fördern soll«.
Unten, im Parterre, pflegt man im Kindergarten derweil das unkomplizierte Miteinander nicht der Generationen, sondern der Kulturen. Jessica Zimmer leitet das »Humanistische Haus für Kinder am Karl-Bröger-Platz« mit seinem sorgfältigen pädagogischen Ansatz. Sieben Betreuerinnen kümmern sich um die derzeit etwa 50 Kleinen, die in drei Gruppen aufgeteilt sind. Innerhalb des »Versorgungskonzepts« spielen Kindertagesstätte und Krippe eine wesentliche Rolle: Mütter werden zeitlich entlastet und Ältere, die sich einen direkten Umgang mit Kindern wünschen, mit ehrenamtlichen Aufgaben betraut. Nachwuchs aus der Nachbarschaft gesellt sich zu den »internen« Mädchen und Buben, und die ganze muntere Schar erfüllt das Haus mit dem erwünschten fröhlichen Leben. Eliza und Celina, die zweijährigen Zwillinge von Kerstin Schulz, 31, tragen nach Kräften dazu bei und fühlen sich offenbar bestens aufgehoben. »Noch ein bisschen ungewohnt« ist es für ihre Mutter, die aus der Nordstadt in den Süden umgezogen ist und sich das »andersWohnen« reiflich überlegt hat. Auch sie setzt fest auf ein gutes Miteinander und ist bereit, das Ihre dazu zu tun.
»Wir wachsen zusammen« glauben die jungen und alten Bewohner am Karl-Bröger-Platz fest und freuen sich aufeinander. In der Görkauer Straße in Erlangen sieht man das ebenso. Einen Mehrgenerationenkonflikt wird es nicht geben.
Brigitte Lemberger
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Weitere Informationen:
»In der Heimat wohnen – ein Leben lang.
Sicher und selbstbestimmt«
Wohnmodell der Caritas im Erzbistum Bamberg und der Joseph-Stiftung, kirchliches
Wohnungsunternehmen.
Görkauer Str. 2, 91058 Erlangen
Ansprechpartnerin für den Standort Erlangen ist Hannelore Bils-Klinker,
Tel. 09 51/ 91 44-3 09
bei der Joseph-Stiftung Bamberg
Mehrgenerationenhaus Erlangen
Pfarrzentrum St. Sebald
Egerland Str. 24, 91058 Erlangen
Tel. 0 91 31 / 30 14 94
Ansprechpartnerin ist Christiane Heil
Bürozeit Di. und Do. von 10 bis 12 Uhr
»andersWohnen«
Das Nürnberger Wohnprojekt wohnenPlus
der Genossenschaft andersWohnen eG
Karl-Bröger-Platz, 90459 Nürnberg
Kontakt über: andersWohnen e.G.
Rennweg 50, 90489 Nürnberg
Ansprechpartner sind: Christoph Arnold (Vorsitzender) und Fred Jantschke
Tel. 0911 / 597 20 60
Telefax: 0911 / 597 20 61
E-mail: arnold@anderswohnen-eg.de
Internet: www.anderswohnen-eg.de
Humanistisches Haus für Kinder am
Karl-Bröger-Platz
Nürnberg-Steinbühl
Karl-Bröger-Str. 4, 90459 Nürnberg
Tel. 0911 / 130 80 48,
Mobil 0176 / 62 23 55 19
Ansprechpartnerin ist Sozialpädagogin (FH) Jessica Zimmer

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