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Das ewige Leben im Netz

Noch immer machen Menschen das Thema Erbe meist an greifbaren Besitztümern fest. Dabei spielt sich das Leben längst zu einem Großteil auch im virtuellen Raum ab, sprich: im Internet. Hier hinterlassen Menschen viele Spuren – einige freiwillig, mehr aber noch unfreiwillig. Doch wollen wir das? Für immer im Netz verewigt sein - auch nach unserem Tod? Weiterlesen

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Das Internet ist inzwischen zu einem riesigen Datenfriedhof geworden. Es ist ein eigener Geschäftszweig entstanden, der sich um die digitale Hinterlassenschaft kümmert. Foto: Michael Matejka

Digitale Daten können nur schwer aus dem Internet entfernt werden
Das Haus, das Auto, Tante Käthes schöner Smaragd-Ring, die Aktien, das Sparbuch, die alten Schriften, die der Onkel einst aus dem damals so exotischen China mitbrachte: Wie wir unseren Besitz, unsere Werte verteilen wollen, wer nach unserem Ableben welche Erinnerung mit uns verbinden soll – darüber denken wir zu Lebzeiten nach.
Noch immer machen Menschen das Thema Erbe meist an greifbaren Besitztümern fest. Dabei spielt sich das Leben längst zu einem Großteil auch im virtuellen Raum ab, sprich: im Internet. Hier hinterlassen Menschen viele Spuren – einige freiwillig, mehr aber noch unfreiwillig. Doch wollen wir das? Für immer im Netz verewigt sein?
Sich mit seinem “digitalen Erbe” auseinanderzusetzen, das ist Helmut Wich ein Anliegen. “Wenn Senioren im Netz unterwegs sind, wissen die wenigsten Angehörigen, wo derjenige unterwegs war und welche Rechte er erworben hat oder welche Verpflichtungen er dabei eingegangen ist”, sagt der Kursleiter des CCN 50 plus – der Nürnberger Computerschule für Senioren. Die Menschen haben eine E-Mail-Adresse, sie verkaufen Sachen bei eBay, treffen Bekannte bei Facebook oder legen sich eine zweite Identität auf der Fantasy-Website Secondlife zu. “Viele Senioren klicken auch Singlebörsen an”, weiß Wich. Und es sind nicht immer nur ungebundene Menschen.
Kaum einer im Umfeld weiß, wo der Betreffende überall seine Daten hinterlassen hat. Und schon gar nicht, mit welchem Passwort er sich Zugang zum Netz verschafft hat. Dabei müsse es nicht immer der Tod sein, der Fragen nach den digitalen Spuren aufwirft. “Das Gleiche gilt für Krankheiten oder andere Umstände, die dafür sorgen, dass jemand nicht in der Lage ist, Ordnung
in seine Internet-Angelegenheiten zu bringen”, weiß Wich. Und längst ist es nicht mehr nur der PC, auf dem Daten hinterlassen werden, sondern auch der Tablet-Computer oder das Smartphone.
Laut BITKOM, dem Branchenverband der deutschen IT- und Telekommunikationswirtschaft, nutzen mehr als 50 Millionen Bundesbürger das World Wide Web, gut 30 Millionen davon haben irgendwo ein Online-Profil hinterlassen. Bei geschätzt 850.000 Menschen, die jährlich sterben, wächst da ein riesiger Datenfriedhof im virtuellen Raum heran. Dabei geht es zunehmend um wichtige Daten. Immer mehr Versicherungen, Kreditverträge oder Mitgliedschaften werden online abgeschlossen. “Wenn die Beiträge nicht mehr bezahlt werden, weil das Konto aufgelöst wurde, dann kann Angehörigen irgendwann ein Mahnschreiben ins Haus flattern”, sagt Computer-Experte Wich. Wenn der Witwe eine Abmahngebühr über 250 Euro zugestellt wird, dann ist die Aufregung oft groß.
Welche Gefahren lauern?
Natürlich hat sich längst ein eigener Geschäftszweig darum gerankt, der sich mit den digitalen Hinterlassenschaften beschäftigt, der Mitgliedschaften und Passwörter aufspürt. Das kostet zum einen, zum anderen muss Dritten Einblick in möglicherweise sehr intime Dinge gewährt werden.
Der rechtliche Sachverhalt gestaltet sich laut BITKOM wie folgt: Erben haben legal Zugriff auf den PC und die Speichermedien des Verstorbenen und dürfen die dort gespeicherten Daten lesen. Die Entscheidung, was damit passiert, liegt bei den Erben – sofern im Testament nichts anderes geregelt ist. Virtuelle Adressbücher, online gespeicherte E-Mails, Bilder und Profile gehören ebenfalls den Erben. Rechte an Homepages gehen auf sie über. Erben haben das Recht, auf Benutzerkonten des Verstorbenen zuzugreifen. Sie dürfen bei Internet-Anbietern neue Passwörter anfordern, um mit den Accounts “wie ein Eigentümer” umgehen zu können. Als Legitimation dienen in der Regel Sterbeurkunde und Erbschein.
So einfach wie dies klingt, ist es allerdings nicht immer. Einige Anbieter verweisen auf das Telekommunikationsgesetz, das Vertraulichkeit gebietet. Große Internet-Unternehmen wie Facebook oder Google haben sich diesem Thema inzwischen angenähert und bieten eigene Lösungen dafür an. Google etwa mit einem “Testament”, in dem jeder festlegen kann, wer seine E-Mails lesen darf und nach welcher Zeit der Inaktivität sein Konto gelöscht werden soll.
Helmut Wich hingegen möchte aber nicht nur auf den Ernstfall hinweisen. Ihm geht es auch darum, bereits im Vorfeld zu sensibilisieren: Wo können welche Gefahren lauern oder wie speichert man bewusst seine Daten auf dem PC? Er rät dazu, aufzuschreiben, auf welchen Internet-Seiten man Spuren hinterlassen hat. “Entgegen aller sonstigen Regeln plädiere ich in diesem Fall dafür, irgendwo die Benutzerkennung und die Passworte zu hinterlegen und zu sichern.”
Anja Kummerow

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